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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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und wieder nichts war?«
    Kaum hatte er das Wort »Spektakel« ausgesprochen, da bereute er seine Wortwahl auch schon, doch Ordóñez schien nicht gekränkt zu sein.
    »Wir haben nichts … noch nicht«, erwiderte sie. »Aber wir werden etwas haben.«
    Wieder versuchte sie, aufzustehen, und da Perdomo sah, dass sie nun rasch wieder Farbe annahm, half er ihr hoch. Der Preis für diese ritterliche Geste war ein scheußlicher stechender Schmerz in seiner geprellten Hüfte.
    »Wann werden wir denn etwas haben?«
    »In der Regel dauert es zwischen achtundvierzig und zweiundsiebzig Stunden«, sagte Ordóñez ganz sachlich.
    Sie klang, als spräche sie über den Zeitpunkt der Aktivierung ihrer SIM-Karte, und nicht über ein paranormales Phänomen. Als sie sah, wie verwirrt der Inspector war, versuchte sie, es ihm zu erklären.
    »Wir reden die ganze Zeit von außersinnlicher Wahrnehmung, aber in Wirklichkeit wäre es genauer, zu sagen, dass ich gerade einen außersinnlichen Sinneseindruck hatte. Das klingt paradox, ich weiß, aber besser kann ich es nicht ausdrücken. Ein solcher Sinneseindruck ist eine grundlegende unmittelbare Erfahrung, die durch einen einfachen isolierten Reiz ausgelöst wird. Eine Wahrnehmung impliziert die Interpretation eines solchen Reizes, den Versuch, ihm Bedeutung und Struktur zu geben.«
    »Ich verstehe nicht, wohin uns das führen soll.«
    »Es führt dazu, dass ich Ihnen in ein paar Stunden sagen kann, um was für einen Geruch es sich handelt – sobald mein Nervensystem, das im Augenblick völlig auf den Kopf gestellt ist, diesen olfaktorischen Reiz verarbeitet hat. Im Augenblick bin ich völlig benommen und könnte nur Allgemeines von mir geben.«
    »Ich würde lieber mit Allgemeinem hier rausgehen als mit gar nichts. Sagen Sie mir, was wir bisher haben.«
    »Ich weiß nur, dass es ein süßlicher Duft ist, wie von Blumen.«
    »Das ist alles?«
    »Im Augenblick ist das das Einzige, was ich Ihnen sagen kann.«
    Verärgert verzog Perdomo das Gesicht, und Ordóñez bemühte sich, ihn aufzumuntern.
    »Man muss Geduld haben. Außersinnliche Reize brauchen eine Weile, bis sie konkrete Formen annehmen. Es ist wie früher beim Fotopapier. Haben Sie nie gesehen, wie ein Foto sich erst allmählich entwickelt, nachdem das Negativ mit dem Vergrößerungsapparat auf das Papier projiziert wird? So ist es auch hier. Nach und nach wird sich in meinem Kopf der Geruch des Mörders festsetzen.«
    Perdomo wollte schon erwidern, im Falle der Fotografie müsse man aber nur wenige Sekunden auf das Positiv warten, während sie von einer Wartezeit von mehreren Tagen sprach, die ihm endlos erschienen. Doch eine innere Stimme sagte ihm, es wäre unklug, Ordóñez weiter zu bedrängen. Also fragte er stattdessen: »Und ist das immer … Ich meine, wenn Sie früher außersinnliche Wahrnehmungen hatten, war das auch so? Sie haben etwas gerochen?«
    »Nein, es waren meistens visuelle Reize. Dies ist das erste Mal, dass mein Geruchssinn betroffen war.«
    »So ein verdammtes Pech!«, rief Perdomo aus. »Wenn Sie etwas gesehen hätten, anstatt etwas zu riechen, dann hätten wir in achtundvierzig Stunden eine Personenbeschreibung!«
    Ordóñez seufzte resigniert.
    »Schon, aber man kann sich leider nicht aussuchen, was man wahrnimmt, es ist eher die Wahrnehmung, die mich auswählt. Ich weiß noch, dass ich einmal die Stimme des Verbrechers ›hören‹ konnte. Nicht das, was er sagte, sondern das Timbre seiner Stimme. Ein andermal konnte ich seine Jacke ›berühren‹, die aus Cordsamt war. Diese einfache Angabe ermöglichte es der Polizei, die gesuchte Person zu identifizieren.«
    Perdomo kauerte sich zwischen der dritten und vierten Sitzreihe hin und schnüffelte an den Sitzen und Rücklehnen und sogar am Holzboden, als wäre er ein Jagdhund. Ordóñez musste lachen.
    »Sparen Sie sich die Mühe, es handelt sich nicht um einen realen Geruch, er ist jetzt nicht mehr hier. Nicht einmal der beste Spürhund wäre fähig, ihn zu entdecken. Was ich mit meinem Geruchssinn wahrgenommen habe – und das ist mir wie gesagt auch bei anderen Gelegenheiten mit anderen Sinnen so ergangen – ist die Präsenz desjenigen, der Ane Larrazábal ermordet hat – hier, aber vor einigen Tagen.«
    Perdomo wusste nicht, was er von alldem halten sollte. Einerseits wollte er Ordóñez gern glauben; zudem konnte er sich überhaupt nicht vorstellen, warum sie sich eine solche Geschichte hätte ausdenken sollen. Andererseits malte er sich aus,

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