Die Violine des Teufels
angenommen?«
»Zähneknirschend. Er hat mich nicht offiziell degradiert, aber er hat mich in der ganzen Zeit nur ein Solo spielen lassen. Und komischerweise hat er mich überhaupt nicht kritisiert. Anfang dieses Jahres – das ist jetzt mein drittes im Orchester – habe ich ihm ein Arrangement vorgeschlagen. Ich würde immer dann, wenn er dirigiert, die zweite Posaune spielen, aber bei Gastdirigenten die erste. Da hat er sich direkt vor mich hingestellt und ganz dreist gesagt: ›Weißt du, was das Problem ist, Elena? Die Soloposaune kann nur ein Mann spielen.‹ Und dann hat er mich offiziell zur zweiten Posaune degradiert.«
»Was für ein Mistkerl!«
»Ich habe ihn wegen Verstoß gegen Paragraph vierzehn der Verfassung verklagt: ›Alle Spanier sind vor dem Gesetz gleich, niemand darf wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Geschlechts, seiner Religion, seiner Meinung oder wegen irgendeiner anderen Veranlagung oder eines anderen Umstands, sei er persönlich oder gesellschaftlich bedingt, benachteiligt werden.‹«
»Ich sehe, Sie können es auswendig.«
»Ja, in letzter Zeit verbringe ich mehr Zeit mit meiner Anwältin als mit dem Orchester.«
Plötzlich presste sie die Hand auf den Magen, als hätte sie Schmerzen.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Perdomo besorgt.
»Doch, doch«, sagte sie, bemüht, sich wieder zu fangen. »Mir ist nur plötzlich ganz übel geworden. Ich hätte nichts essen sollen.«
»Es ist normal, dass Sie verstört sind, nach dem, was wir heute Abend erlebt haben«, bemerkte Perdomo.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, ich werde nie nervös. Aber ich bin nur in der Situation selbst stark, logisch, und jetzt sehe ich ständig die arme Ane vor mir, und –«
Sie brachte den Satz nicht zu Ende, denn unvermittelt wurde sie ohnmächtig, und hätte Perdomo nicht blitzschnell reagiert und sie im letzten Moment aufgefangen, wäre sie auf den schmutzigen Boden des Lokals gestürzt.
10
A ls Inspector Perdomo und sein Sohn nach Hause kamen, war der Junge so verstört von den Erlebnissen des Abends, dass sein Vater ihm vorschlug, wenn er wolle, könne er bei ihm schlafen. Gregorio nahm dieses Angebot gerne an.
Sie schlüpften in ihre Schlafanzüge und gingen zu Bett, aber Perdomo wollte nicht sofort einschlafen, sondern versuchte, beim Licht einer kleinen Nachttischlampe einen historischen Roman zu lesen, in dem ihm nur noch wenige Seiten blieben.
Doch es gelang ihm nicht, sich auf seine Lektüre zu konzentrieren. Obwohl der Umgang mit dem Tod für ihn zum beruflichen Alltag gehörte, war der Mord an der Geigerin auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen, und immer wieder grübelte er über das nach, was er an diesem Abend gesehen hatte.
Am meisten beunruhigte ihn, wie er sich eingestehen musste, Maestro Agostinis Vermutung, die radikalen Islamisten könnten ihre Vorgehensweise geändert haben und nun Anschläge auf berühmte Persönlichkeiten verüben, um damit weltweit Aufsehen zu erregen. Vom radikalen Islamismus wanderten seine Gedanken zum Roten Meer, wo seine Frau Juana vor eineinhalb Jahren umgekommen war und Terroristen von al-Qaida im Juli 2005 über 80 Menschen ermordet hatten, indem sie eine schwere Bombe in einem Viersternehotel in der Stadt Scharm El-Scheich gezündet hatten. Auch der Ort, an dem seine Frau gestorben war, Dahab, lag auf der Sinaihalbinsel, allerdings ein Stück weiter nördlich, am westlichen Rand des Golfs von Akaba. Dahab galt als Taucherparadies.
Als Raúl Perdomo Juana vor mittlerweile über zwanzig Jahren kennengelernt hatte, war sie bereits eine erfahrene Taucherin gewesen. Er hätte sie gern einmal auf einem ihrer Tauchausflüge begleitet, hatte aber nie die medizinischen Tauglichkeitsprüfungen bestanden. Seine Neigung zu allergischen Reaktionen und die Auswirkungen, die diese auf seine Atemwege hatten, machten das Tauchen mit Sauerstoffflasche für ihn nicht ratsam, denn in großen Tiefen konnte bereits das Streifen einer Alge, einer Koralle oder eines Nesseltiers ihn derart in Bedrängnis bringen, dass es das Risiko nicht wert war.
Insofern hatte Perdomo zwar keine Schuldgefühle, weil er seine Frau auf der Reise, die sie das Leben gekostet hatte, nicht begleitet hatte, doch er fragte sich schon seit Monaten, ob er genug tat, um seinem Sohn die Bewältigung des schrecklichen Verlusts zu erleichtern. Sollte er beispielsweise nicht lieber umziehen? Diese Wohnung war unwiderruflich mit ihrem Leben zu dritt verknüpft. Sie konnten kaum einen
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