Die Violine des Teufels
nur zehn Meter lang, dabei sind es in Wirklichkeit sechsundzwanzig. Außerdem gibt es da eine sehr starke Strömung nach innen, deshalb dauert das Hindurchtauchen länger, als man vorher denkt. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Die größte Gefahr besteht darin, dass es in solchen Tiefen nicht viel Licht gibt und man den Eingang leicht verpassen kann. Dann taucht man immer tiefer. Und das war auch der Frau da passiert. Aber zum Glück hat deine Mutter sie entdeckt, hat sie eingeholt und konnte ihr den Eingang zur Kathedrale zeigen.«
»Und warum hat Mama sich dann nicht auch selbst gerettet?«
»Weil die andere Taucherin in Panik geraten ist. Es gab ein kleines Gerangel, und dabei hat sie deine Mutter getreten, ohne es zu wollen, an den Kopf. Die anderen Taucher, die weiter oben waren, haben es gesehen. Deine Mutter hat das Bewusstsein verloren und konnte sich nicht retten.«
»Wer ist diese Frau?«, fragte der Junge wütend.
»Spielt das denn eine Rolle?«
»Ich will wissen, wer sie ist. Wenn ich groß bin, suche ich sie, und dann töte ich sie, weil sie Mama getreten hat.«
»Gregorio, diese Frau hat deine Mutter nicht getötet. Es war ein Unfall.«
»Du hast doch gerade gesagt, sie hat sie an den Kopf getreten.«
»Ja, das stimmt, aber sie wusste nicht, was sie tat, sie hatte eine Stickstoffnarkose. Außerdem, Gregorio, ist dir denn nicht klar, dass das Opfer deiner Mutter total vergeblich wäre, wenn du deine Drohung wahr machen und die Frau töten würdest?«
Gregorio sah ein, dass sein Vater damit nicht ganz unrecht hatte, und seine Rachegelüste schwanden. Aber schon brachte er Perdomo erneut in Verlegenheit.
»Wo ist Mama jetzt, was glaubst du?«
Perdomo wollte schon sagen: »Im Himmel«, doch dann besann er sich und antwortete stattdessen, vielleicht beeinflusst von seinen galicischen Vorfahren: »Was würdest du dir denn wünschen, wo sie jetzt ist?«
»Ich fände es schön, wenn es Gott wirklich geben würde und Mama da oben bei ihm wäre, und wenn sie uns sehen könnte und wüsste, dass wir miteinander reden und uns jeden Tag an sie erinnern. Aber Großpapa hat gesagt, Gott gibt es nicht.«
»Wer bin ich, deinem Großvater da zu widersprechen? Aber das heißt nicht, dass deine Mutter uns für immer verlassen hat, Gregorio. Jedes Mal, wenn wir uns an sie erinnern, ist sie wieder bei uns.«
»Aber ich will eines Tages wieder mit ihr reden, Papa. Ich kann es nicht ertragen, wenn ich mir vorstelle, dass ich Mama nie wiedersehe.«
Gregorio begann zu weinen, verzweifelt und untröstlich, und nichts, was sein Vater sagen mochte, konnte ihn beschwichtigen. Da nahm Perdomo seinen Sohn einfach in den Arm, und so lagen sie lange da, bis der Junge vor Erschöpfung einschlief.
Perdomo hatte den Eindruck, dass Gregorio nun, eineinhalb Jahre nach dem Unfall, den ersten großen Schritt in Richtung einer Bewältigung des Todes seiner Mutter getan hatte.
Und da fiel ihm Juanas Handy ein.
Die ägyptischen Behörden hatten ihm alle persönlichen Habseligkeiten seiner Frau ausgehändigt, auch ihr Handy, und Perdomo hatte damals vergessen, es abzumelden. Das Gerät lag immer noch in irgendeiner Ecke der Wohnung, natürlich mit leerer Batterie, doch Juana war nach wie vor Kundin des Mobilfunkbetreibers. Urplötzlich hatte Perdomo das übermächtige Bedürfnis, sie anzurufen und ihre Stimme auf der Mailbox zu hören. Er wählte die Nummer, und da das Handy nicht betriebsbereit war, sprang der Anrufbeantworter sofort an: »Hallo, hier ist Juana. Sei nicht schüchtern und hinterlass mir eine Nachricht. Sonst werde ich nicht wissen, wer du bist, und kann dich nicht zurückrufen. Muss ich dich daran erinnern? Du kannst erst nach dem Piepton sprechen. Bis dann.«
11
Madrid, am Tag nach dem Verbrechen
I nspector Manuel Salvador beschloss, die Ermittlungen im Mordfall Ane Larrazábal mit einer Befragung ihres Verlobten Andrea Rescaglio zu beginnen.
Er hatte sich im Auditorio Nacional mit ihm verabredet, das für die Öffentlichkeit geschlossen bleiben würde, bis die Spurensicherung der Polizei abgeschlossen war.
Der uniformierte Polizist, der an der Tür stand, erkannte den Inspector, als er ihn kommen sah, und gab den Eingang frei, nachdem er Haltung angenommen und militärisch gegrüßt hatte.
»Wo ist Rescaglio?«, fragte Salvador.
»In einem Übungsraum, dort die Treppe runter«, erwiderte der Uniformierte.
Das Auditorio Nacional verfügt über vierzehn Räume, in denen die Orchestermusiker sich
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