Die Violine des Teufels
aktuellen Fall haben, und damit bin ich beruhigt. Aber ich bitte Sie, alle Informationen, die Salvador Ihnen über den Fall gegeben hat, mit größter Vertraulichkeit zu behandeln.«
Sie lächelte, als sie sah, dass Perdomo sich noch immer sorgte, sie könnte etwas ausplaudern.
»Inspector, über dieses Verbrechen weiß ich nur, was in der Presse stand. Inspector Salvador und ich hatten keine Gelegenheit, über den Fall zu sprechen, weil er einen Tag vor unserem ersten Treffen starb.«
Sie gingen in die Diele, und Ordóñez reichte Perdomo seinen Trenchcoat.
»Warum tun Sie das?«
»Meinen Sie, der Polizei zu helfen? Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass ich es nicht für Geld mache, und auch nicht wegen der etwaigen Publicity. Offen gesagt muss ich darauf achten, dass niemand etwas von meiner Begabung erfährt. Wenn die Eltern der Kinder, die ich behandele, Wind davon bekämen, dass ich eine Art … Hexe bin, dann könnten mir von heute auf morgen die Patienten wegbleiben.«
»Also weswegen dann?«
»Weil es mir grausam und unmenschlich erscheint, jemandem, der meine Hilfe braucht und dem ich helfen kann, diese Hilfe zu verweigern.«
Perdomo schwieg. Schließlich sagte er: »Sie scheinen ein guter Mensch zu sein, und ich würde Ihnen gerne glauben. Die Aufklärung eines Mordes ist manchmal ein so verwickelter und mühsamer Prozess, dass man für jede Hilfe dankbar ist. Trotzdem –«
Es klang wie der Versuch, die widersprüchlichen Gefühle, die das Gespräch bei ihm geweckt hatte, zusammenzufassen.
»Sie brauchen mir nichts zu erklären, Inspector. Aber falls Sie Ihre Meinung ändern, freue ich mich über Ihren Besuch.«
Sie reichte ihm die Hand und öffnete ihm die Tür. Er trat hinaus. Als er die Tür nicht hinter sich zufallen hörte, drehte er den Kopf und stellte fest, dass Ordóñez tatsächlich noch dort stand und ihm nachsah.
»Nur einmal angenommen«, sagte er, »wirklich nur einmal angenommen, Sie hätten tatsächlich diese seltsame Begabung und hätten also ein gewisses Maß an außersinnlicher Wahrnehmung entwickelt. Wie würden Sie das erklären?«
Milagros Ordóñez benötigte nicht einmal eine Minute, um ihm zu erklären, wie sie ihrer Meinung nach ihre außersinnliche Begabung erworben hatte, und Perdomo schauderte es unwillkürlich – sein tiefsitzender Argwohn gegenüber der Welt der Hellseher sowie paranormalen Phänomenen ganz allgemein war zum ersten Mal ins Wanken gekommen.
21
D ie Trauerfeier für Ane Larrazábal fand in der Almudena-Kathedrale statt. Unter den Trauergästen befanden sich die ranghöchsten Vertreter aus Politik und Kultur, allen voran die Königin Doña Sofía, die eine große Bewunderin der Geigerin war. Auch Arsène Lupot nahm mit seinen Freunden Roberto und Natalia teil und konnte sich ein Bild davon machen, wie geachtet und beliebt die Künstlerin in ihrem Land war. Neben Larrazábals Eltern – zwei bezaubernden älteren Leutchen, die den Geigenbauer an ein Paar Hobbits erinnerten – waren beinahe eintausend Bewunderer und Angehörige gekommen, dazu die knapp dreihundert Personen, die nicht mehr ins Gotteshaus hineingepasst hatten und ungeduldig am Eingang warteten, vielleicht um den Eltern ihr Beileid auszusprechen.
Lupot erkannte viele Musiker unter den Gästen: von der amerikanischen Geigerin Hilary Hahn über den Dirigenten Zubin Mehta und den Tenor Plácido Domingo bis hin zu dem britischen Cellisten Steven Isserlis.
In der Kathedrale herrschte eine solche Unruhe, dass Mitarbeiter die Gäste mehrfach um Ruhe bitten und an die Heiligkeit des Gotteshauses erinnern mussten. Doch als die Gemüter sich ein wenig beruhigt hatten, half die Energie, die in der Luft lag, eine der bewegendsten Feierlichkeiten zu gestalten, an denen Lupot je teilgenommen hatte.
Die gottesdienstlichen Verrichtungen führte der Dechant der Kathedrale durch, und zwei weitere Priester, die Larrazábals Eltern eigens aus Vitoria hatten kommen lassen, konzelebrierten die Messe.
Die erste Lesung war einem der Thessalonicher-Briefe entnommen, gefolgt von einer Passage aus dem Johannesevangelium. In der Predigt ging der Dechant an keiner Stelle darauf ein, dass Larrazábal eines gewaltsamen Todes gestorben und der Mörder noch immer auf freiem Fuß war, ganz zu schweigen von der unheimlichen Möglichkeit, dass er sich dort mitten unter ihnen befand und sich innerlich an dem Leid weidete, das er verursacht hatte. Stattdessen sagte der Dechant, für gläubige Menschen wie
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