Die Violine des Teufels
Musiker, vollständig auf das Vibrato zu verzichten, mit der Begründung, dass die Interpretation so näher an den damaligen Maßstäben sei. Mit seiner verhaltenen Spielweise nahm er seine Zuhörer für sich ein, bis zum Einsatz der Altpartie, die diesmal nicht wie so häufig von einer Frau, sondern von einem Countertenor gesungen wurde. Und was für ein Countertenor! Der Deutsche Andreas Scholl war seit der gemeinsamen Aufnahme einer wundervollen Platte mit dem Titel Salve Regina eng mit Larrazábal befreundet gewesen. Auf dieser Platte, die Lupot häufig hörte, interpretierte der Sänger mit der feinen, subtil falsettierenden Stimme geistliche Musik von Monteverdi und anderen venezianischen Komponisten der Zeit. Larrazábal, die bei der Aufnahme noch nicht der Weltstar gewesen war, der sie später wurde, willigte ein, Scholl bei mehreren Stücken zu begleiten. Es blieb ihre einzige gemeinsame Platteneinspielung, aber sie waren sich bei verschiedenen Wohltätigkeitskonzerten begegnet, und es hatte sich eine unverbrüchliche Freundschaft zwischen ihnen entwickelt.
Scholl sang die Arie mit solcher Empfindsamkeit und Reinheit, dass die Trauergäste kein Deutsch können mussten, um den Sinn jener schlichten Worte zu erraten.
Erbarme dich, mein Gott,
um meiner Zähren willen!
Perdomo hatte dennoch das Glück, dass eine Dame, die unmittelbar vor ihm saß, ihrem Mann den Text der Arie ins Spanische übersetzte.
Erbarme dich, mein Gott,
um meiner Zähren willen!
Schaue hier, Herz und Auge
weint vor dir bitterlich.
Erbarme dich, mein Gott.
Als die Arie endete, schwieg das Publikum noch einen Moment ergriffen, während Larrazábals Vater sich in die Sakristei zurückziehen musste, weil die Trauer ihn nun doch überwältigte. In einer der Personen, die Don Íñigo hinter den Altar begleiteten, erkannte er den Verlobten der Geigerin, Andrea Rescaglio, der am Abend des Mordes so am Boden zerstört gewesen war. Perdomo beabsichtigte, ihn erneut zu befragen, auch wenn Salvador das bereits getan hatte. Dann drehte er sich um, weil er sehen wollte, ob die Trauergäste begonnen hatten, die Almudena-Kathedrale zu verlassen, da das Bach-Stück der letzte Programmpunkt gewesen war. In den hintersten Bankreihen auf der linken Seite bemerkte er diverse Rock- und Popmusiker, deren Anwesenheit ihm bisher gar nicht aufgefallen war. Perdomo war kein Musikexperte, daher sollte er erst am nächsten Tag aus der Presse erfahren, dass der Mann mit der blonden Mähne und dem fliehenden Kinn, der Weste und dem weißen Cowboyhut, den er nicht einmal aus Respekt für die Verstorbene abgesetzt hatte, Beck war, ein kalifornischer Musiker und Autor eines Songs namens The Devil’s Haircut, zu dem es auch einen Videoclip gab. Ganz offensichtlich, sollten die Zeitungen am nächsten Tag schreiben, hatte die Sympathie für den Teufel die Geigerin und den Rockmusiker verbunden. Perdomo hielt Ausschau nach Mick Jagger oder einem anderen Mitglied der Rolling Stones, denn von ihnen stammte schließlich der bekannteste Teufelssong, Sympathy For The Devil, der als eines der fünfhundert einflussreichsten Lieder in der Geschichte galt. Überdies hatten die Stones im Jahr davor, also 1967, das Album Their Satanic Majesties Request herausgebracht. Die satanischen Wurzeln des Rock gingen auf die sechziger Jahre zurück und hatten auch die Beatles angesteckt, obwohl diese dank der großartigen Imagepflege ihres Managers Brian Epstein, der sie einheitlich gekleidet und wie Schuljungen frisiert hatte, ein Bild der Unschuld und Wohlanständigkeit abgaben, das weit von der Realität entfernt war.
Beim Verlassen der Kirche erblickte Perdomo von weitem Elena Calderón, die attraktive Posaunistin, der sein Interesse galt, seit sie ihn an jenem unseligen Abend im Auditorio an den Tatort geführt hatte. Sie war in Begleitung des russischen Tubaspielers Georgy Roskopf sowie einiger Personen, die wie Jazzmusiker aussahen. Alle stiegen gemeinsam in ein Taxi und fuhren davon. Perdomo fiel sein Plan ein, die Frau unter dem Vorwand anzurufen, dass er ihren Rat zu einer neuen Geige für seinen Sohn benötigte. Im Augenblick schien sie allerdings in bester Gesellschaft zu sein, daher verschob er den Anruf auf einen späteren Zeitpunkt. Aber, so sagte er sich, die Befragung der persönlichen Assistentin des Opfers, der allmächtigen Carmen Garralde, die Rescaglio zufolge insgeheim in Larrazábal verliebt war, würde er nicht länger hinausschieben.
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