Die Violine des Teufels
Frau ihn nicht am Eingang erwartete, wie es sich gehört hätte, sondern die Tür einfach angelehnt gelassen hatte. Er drückte sie langsam auf, aber noch ehe er einen Schritt in die Wohnung tun konnte, fiel ihm ein kleines haariges Geschöpf auf: Eine Dackelhündin schnüffelte an seinen Füßen, um herauszufinden, ob dieser Besucher wohl vertrauenswürdig war. Perdomo ließ das Tier gewähren, denn es war ihm auf Anhieb sympathisch. Da hörte er die heisere Stimme der Besitzerin von drinnen rufen.
»Koxka! Koxka, komm her!«
Sofort verschwand die Hündin im Inneren der Wohnung, und Perdomo folgte ihr.
Die nicht allzu große Wohnung war außerordentlich geschmackvoll eingerichtet und sehr hell. Die Fliesen bestanden aus hellem Terrakotta – offensichtlich hatte die Geigerin ruhige Farben gemocht, Weiß- und Cremetöne, neutrale Farben –, und es gab viele Bauernmöbel, kombiniert mit Antiquitäten wie zwei Sesseln im Empirestil, die Perdomo auffielen, weil sie anscheinend erst kürzlich neu bezogen worden waren. Besondere Erwähnung verdiente auch die weiträumige Dachterrasse, von der aus man die Parkanlagen Jardines de Las Vistillas, Campo del Moro und Casa de Campo sowie die Almudena-Kathedrale sehen konnte. Als Perdomo das Wohnzimmer betrat, hörte er seine Gastgeberin aus einem Nebenraum rufen, diesmal an ihn gewandt: »Ich ziehe mir nur rasch Schuhe an, bin sofort bei Ihnen.«
Gleich darauf öffnete sich eine hölzerne Schiebetür, und die Frau, die zu befragen er gekommen war, erschien in einem dunkelblauen Hosenanzug und eigenartigen braun-schwarzen Turnschuhen. Garralde stand kurz davor, ihren sechzigsten Geburtstag zu begehen, und sie war nicht unbedingt als hübsch zu bezeichnen. Das lag nicht nur an ihren vorstehenden Augen und ihrem sehr großen Mund, die ihr Gesicht wenig anmutig machten; es lag vor allem an ihrem Kinn, das aus dem Gesicht ragte wie eine Galionsfigur. Zu ihren Gunsten sprachen eine beneidenswerte Körpergröße – beinahe 1,75 Meter – und ein offenes, wenn auch ein wenig beunruhigendes und spöttisches Lächeln. Ihre Haare waren dunkelrot – Perdomo konnte nicht sagen, ob gefärbt oder von Natur aus – und völlig glatt. Sie trug sie mit einem Seitenscheitel und hinter die Ohren gekämmt. Der Inspector und seine Gastgeberin tauschten einen kräftigen Händedruck, und Garralde bot ihm einen Platz auf dem weißen Sofa an, welches das Wohnzimmer beherrschte.
»Ich bleibe lieber stehen, denn wenn ich das Knie beuge, bekomme ich Beschwerden, und dann muss ich es kühlen. Möchten Sie Wasser oder etwas anderes zu trinken?«
»Nichts, danke.«
Die Hündin machte es sich sofort neben Perdomo auf dem Sofa gemütlich und schob ihm sogar die Schnauze unter die Hand, als wollte sie ihn auffordern, sie zu streicheln.
»Wenn Koxka Sie stört, schicke ich sie auf die Terrasse.«
»Nein, gar nicht. Gehört sie Ihnen?«
»Alles, was Sie in dieser Wohnung sehen, gehörte Ane, auch der Hund. Aber sie brauchte ihre Madrider Wohnung nur, wenn sie in Spanien war, denn für gewöhnlich lebte sie in London, wie Sie zweifellos wissen.«
»Sie ebenfalls?«
»Nein, ich lebe in Madrid, in dieser Wohnung hier. Ich habe Ane Miete gezahlt, und zwar nicht gerade wenig, weil solche Wohnungen hoch im Kurs stehen, aber immer noch unter Marktpreis. Ane sagte, dass ich so gar nicht erst auf die Idee kommen könnte, umzuziehen, und sie ihre Wohnung dadurch in guten Händen wüsste.«
»Und wie haben Sie es eingerichtet –«
»Wie ich Anes Angelegenheiten aus der Ferne geregelt habe? Heute, mit Internet und Videokonferenzen, ist das sehr einfach. Allerdings kam sie trotzdem oft nach Spanien, um ihre Eltern und ihren Verlobten, Andrea Rescaglio, zu sehen. Aber das Gros der Arbeit konnte ich von hier aus erledigen. Vor allem, da Ane blind auf mich vertraut hat und fast nie etwas an dem Konzertkalender auszusetzen hatte, den ich ihr fast immer Ende des Jahres zusammengestellt habe.«
Perdomo hatte sich von einem Fernseher ablenken lassen, auf dem Börsenwerte zu sehen waren, die alle paar Sekunden wechselten.
»Spekulieren Sie an der Börse?«
»Seit dreißig Jahren. Auch in dieser Hinsicht ist vieles einfacher geworden für mich, denn früher musste man über Dritte investieren, aber jetzt kann ich das selbst machen und muss dafür einfach nur eine Taste an meinem Computer drücken. Im Lauf der Zeit habe ich Millionen gewonnen und Millionen verloren, aber die Bilanz ist positiv. Ehrlich gesagt
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