Die Violine des Teufels
beklagenswertem Zustand sowohl die Korridore als auch die Bahnsteige infolge des Streiks der Metro-Reinigungskräfte waren, ganz zu schweigen von den überquellenden Papierkörben. Rescaglio kehrte nur deshalb nicht auf dem Absatz um, weil der Gedanke, das Musikaliengeschäft nicht mehr vor Ladenschluss zu erreichen, ihm noch unerträglicher war, als durch diese Müllhalde zu laufen.
Wie er befürchtet hatte, blieb er beim Verlassen der Metro mit dem Cellokasten im Drehkreuz hängen und benötigte eine geraume Weile, um ihn aus dieser Vorrichtung wieder zu befreien, während er auf Italienisch fluchte – allerdings nur leise, um das Anstandsgefühl der Fahrgäste nicht zu verletzen, die hinter ihm ungeduldig darauf warteten, dass er sein kleines Geduldspiel löste.
Endlich kam er frei und ging weiter Richtung Ausgang, da hörte er plötzlich Geigenmusik aus einem der Korridore, die zu den Ausgängen führten. Er musste an die Zeit denken, in der er selbst während der Ausbildung sein Glück als Straßenmusiker versucht hatte, und lächelte.
Doch als er den Korridor erreichte, aus dem die Musik kam, traf er zu seiner großen Überraschung nicht auf Musiker aus Osteuropa – Tschechen, Ungarn und Rumänen schienen beim schwierigen Repertoire der Straßenmusik für Saiteninstrumente eine klare Vorrangstellung errungen zu haben –, sondern auf zwei Jungen, die nicht älter als dreizehn sein konnten. Den beiden war es gelungen, den Geigenkasten, der wie ein hungriger Frosch mit aufgesperrtem Maul vor ihnen auf dem Boden stand, mit Münzen und Scheinen zu füllen. Sie spielten gerade Eight Days A Week von den Beatles, tonrein, in flottem Tempo und mit einem gewissen Swing. Rescaglio fand, ihr Spiel lasse großes musikalisches Gespür erkennen. Einer der beiden Jungen spielte auf seinem Instrument mit dem Bogen die Melodie, der andere hielt seine Geige vor der Brust wie eine Mandoline und spielte mit der rechten Hand die Begleitakkorde.
Das Lied war beinahe zu Ende, und Rescaglio blieb stehen, neugierig auf die Reaktionen der Passanten. Würden die beiden jungen Interpreten den Beifall bekommen, den sie verdienten?
Zu seiner Freude erhielten sie nicht nur stürmischen Applaus, sondern die Leute riefen obendrein »Bravo!« und »Zugabe!«. Die beiden Jungen verbeugten sich feierlich, als wären sie Profimusiker und stünden auf der Bühne der Carnegie Hall.
Ihre zufälligen Zuhörer blieben noch einige Augenblicke stehen für den Fall, dass die Darbietung weiterginge, doch als sie sahen, dass die Jungen ihre Bögen abspannten und Anstalten machten, die Instrumente einzupacken, suchten die Leute in ihren Taschen nach Münzen, warfen sie in den Geigenkasten und setzten ihren Weg fort.
Da erst erkannte Rescaglio in dem Geiger, der die Melodie gespielt hatte, Gregorio Perdomo, den Sohn des Inspectors, der versuchte, den Mord an seiner Verlobten aufzuklären.
»Hallo. Erinnerst du dich an mich?«, sprach er ihn an.
Sie hatten sich ja am Abend des Mordes in der Bar Intermezzo in der Nähe des Auditorio Nacional kurz getroffen.
Das Lächeln, das der Junge ihm schenkte, sagte eigentlich schon alles.
»Klar, du bist doch Anes Verlobter! Aber deinen Namen weiß ich nicht mehr.«
»Andrea. Hier in Spanien ist es in Mode gekommen, die Mädchen Andrea zu taufen, weil der Name auf -a endet, deshalb denken die Leute, es wäre ein Frauenname. Aber wenn in Italien jemand auf die Idee käme, ein Mädchen Andrea zu nennen, würde der Priester sich totlachen.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Gregorio amüsiert. »Tja, das ist Nacho«, stellte er seinen Begleiter vor. »Er ist in derselben Geigenklasse wie ich.«
Der Cellist schüttelte ihm herzlich die Hand.
»Sehr erfreut, Nacho. Das bisschen, was ich gehört habe, hat mir sehr gut gefallen. Wo habt ihr die Bearbeitung her?«
»Welche Bearbeitung? Das haben wir nach Gehör gespielt«, erwiderte Gregorio stolz.
»Im Ernst?« Rescaglio machte keinen Hehl aus seinem Erstaunen und seiner Bewunderung für die beiden Grünschnäbel. »Umso beachtlicher!«
Bei diesem Kompliment aus dem Munde eines Profis wirkten die beiden Jungen vor lauter Stolz gleich ein Stückchen größer, doch dann senkten sie verlegen den Blick, als wüssten sie nicht recht, wie sie mit einem so großen Lob umgehen sollten. Nacho sah auf die Uhr und sagte zu seinem Freund: »Okay, ich muss gehen, ich habe drei Nachrichten von meiner Alten auf dem Handy, wenn ich nicht bald nach Hause komme, bringt sie
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