Die Violine des Teufels
Norah Jones nicht nur eine der Künstlerinnen mit den weltweit höchsten Plattenverkäufen, sondern überdies eine außerordentlich attraktive Frau, deren indische Gesichtszüge ihr etwas unwiderstehlich Exotisches verliehen. Perdomo war beinahe enttäuscht, als Villanueva beim Anblick dieser begehrenswerten Frau keinerlei obszöne Bemerkung machte. Dann erst fiel ihm auf, dass der ältere Herr, der da mit Norah Jones flirtete, der andere große Star des diesjährigen Festivals war: Sonny Rollins, das Saxophongenie. Perdomo ärgerte sich über sich selbst, weil er den Künstler nicht sofort erkannt hatte.
Die beiden Polizisten brachten ihr Gepäck aufs Zimmer, und Perdomo machte ein beißende Bemerkung über das Innenministerium, das zwei gestandene Männer zwang, sich ein Zimmer zu teilen, als wären sie Internatsschüler. Villanueva, der für die Zimmerreservierung zuständig gewesen war, erklärte ihm jedoch, das Doppelzimmer habe nichts mit Beschränkungen beim Reiseetat zu tun, sondern damit, dass die Hotels der Stadt während des internationalen Festivals sämtlich ausgebucht waren.
»Sei froh, dass wir jeder ein eigenes Bett haben und uns nicht ein Doppelbett teilen müssen«, witzelte der Subinspector.
Perdomo wollte Villanueva so schnell wie möglich loswerden, daher sagte er: »Unsere Verabredung mit dem Vater ist morgen früh um zehn im Konservatorium. Das liegt an der Plaza de la Constitución, eine Viertelstunde zu Fuß von hier. Ich rufe jetzt meinen Sohn an, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Nachher bin ich mit ein paar Freunden zum Abendessen verabredet. Was machst du?«
»Ich habe auch Freunde hier in der Stadt, mit denen ich mich treffen will.«
»Falls du nach mir ins Hotel zurückkommst, schalt bloß nicht das Licht ein. Wenn ich mitten in der Nacht wach werde, schlafe ich schlecht wieder ein.«
Villanueva verließ das Zimmer sofort, und Perdomo setzte sich aufs Bett und rief über das Hoteltelefon Gregorio an.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass bei seinem Sohn alles in Ordnung war, bat er den Portier, ihm einen Tisch im El Portalón, dem vielleicht besten Restaurant Vitorias, zu reservieren. Er hatte seinen Kollegen angelogen, um nicht mehr Zeit mit ihm verbringen zu müssen als unbedingt nötig. In Wahrheit kannte er niemanden in Vitoria.
Das Restaurant El Portalón befindet sich in einer ehemaligen Herberge für Händler aus dem fünfzehnten Jahrhundert, im Herzen des gotischen Vitoria, in der Calle Correría. Seinen Namen verdankt es der überdimensionalen Eingangstür, durch die einst Fuhrwerke und Pferde hineingelangt waren. Man isst dort so gut, dass das Gerücht geht, die Weltstars des Jazz, die seit über dreißig Jahren am Festival teilnehmen, täten dies eher wegen der Gelegenheit, eines der köstlichen Gerichte aus Bohnen, Pilzen und Schnecken und dazu einen der erlesenen Rioja-Weine aus dem Weinkeller des Hauses zu genießen, als aus künstlerischen Erwägungen.
Als Perdomo das Restaurant betrat, sah er sogleich, dass es tatsächlich voller Jazzmusiker war – jedenfalls wenn man nach der Zahl der farbigen Gäste urteilte. Der Oberkellner überprüfte Perdomos Reservierung. Als Perdomo an seinen Tisch geführt wurde, sah er am Nebentisch – ebenfalls einem Einzeltisch – Subinspector Villanueva sitzen. Beide Polizisten lächelten verlegen, als sie begriffen, dass sie sich gegenseitig angelogen hatten, und um sich nicht völlig lächerlich vorzukommen, bat Perdomo einen Kellner, sie zusammenzusetzen.
Sie beschlossen, sich das Leben nicht unnötig schwer zu machen, und bestellten das Feinschmeckermenü – zum maßvollen Preis von fünfzig Euro pro Person. Dann fragte Villanueva, der deutlich geschwätziger war als sein Chef, diesen, was er von der Neuigkeit des Tages halte: Der Franzose, der noch am Vormittag in Begleitung einer Frau in der UDEV gewesen war, war kurz darauf bei einem kuriosen Unfall mit einem Regenschirm ums Leben gekommen.
Perdomo war in der zweiten Tageshälfte hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, sich darum zu kümmern, dass sein Sohn gut versorgt war, und hatte keine Zeitung mehr gelesen. Als er nun von Lupots Tod erfuhr, war er sprachlos. Er verstand nicht, wieso, aber irgendwie starben sämtliche Personen, die mit Larrazábals Geige in Berührung kamen, eines gewaltsamen Todes. Alle bis auf Larrazábals Mörder, von dem sie bisher nicht die geringste Spur hatten, auch wenn sich allmählich abzuzeichnen schien, dass Lledó ein
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