Die Violine des Teufels
eine ganz neue Geige!«, rief der Cellist begeistert aus. »Und außerdem schlage ich vor, dass du auf deinem Bogen das Kolophonium ausprobierst, das ich benutze. Du wirst sehen, was das für einen Unterschied macht.«
Während Gregorio den Bogen mit dem Bogenharz bestrich, das der Italiener ihm gab, vertrieb dieser sich die Zeit, indem er auf dem Cello eine einfache Melodie spielte, die sofort die Neugier des Jungen weckte.
»Was ist das? Das ist chinesische Musik, oder?«
Rescaglio zögerte mit der Antwort, als wollte er den Jungen noch ein bisschen auf die Folter spannen, und ließ die Finger weiter übers Griffbrett tanzen. Schließlich lüftete er das Geheimnis.
»Japanische. Das Lied heißt Sakura . Es ist eine sehr alte Melodie, die ich als kleiner Junge in Osaka gelernt habe. Gefällt sie dir?«
»Ja. Aber sie klingt ein bisschen traurig.«
»Das sollte sie eigentlich nicht, es ist nämlich ein Lied über den Frühling und die Kirschblüte.«
»Ich finde es traurig.«
»Das liegt daran, dass die japanische Pentatonik sich von der chinesischen unterscheidet. Ist dir noch nie aufgefallen, dass chinesische Musik immer fröhlich klingt, japanische dagegen nicht?«
Der Cellist improvisierte eine chinesische Melodie, basierend auf der pentatonischen Dur-Skala, was tatsächlich gut gelaunt und beinahe lustig klang. Dann spielte er noch einmal Sakura, das vor allem im Vergleich mit der zuvor gespielten Melodie wie ein Trauermarsch klang.
»Bist du denn Japaner?«, fragte Gregorio plötzlich.
Rescaglio lachte laut auf. Er legte die Finger an die Augenwinkel und zog die Augen in die Breite, um einen Asiaten zu imitieren.
»Ja, klar, sieh doch, wie japanisch ich aussehe.«
»So komisch finde ich meine Frage nicht«, erwiderte der Junge ein wenig gekränkt über den Spott. »Du könntest doch in Japan geboren sein, obwohl du europäische Eltern hast, und dann wärst du von Geburt her Japaner.«
»Du hast recht, Gregorio, verzeih, dass ich mich über dich lustig gemacht habe. Es hätte so sein können, aber so war es nicht. Ich bin in Lucca geboren, wie Boccherini, aber mein Vater, der ein hohes Tier bei Alitalia war, wurde nach Japan versetzt, als ich noch sehr klein war, und ich habe meine ganze Kindheit dort verbracht. Ich habe immer noch sehr gute Freunde in Japan, auch ein paar Italiener, und ich fliege fast jedes Jahr hin.«
»Was wollen wir spielen?« Gregorio hatte seinen Bogen nun ausreichend mit Kolophonium bestrichen und zappelte auf seinem Stuhl wie ein Rennpferd, das gleich aus der Startbox gelassen wird. »Du hast mir eine Überraschung versprochen.«
Rescaglio ging nochmals zu seinem Cellokoffer, um etwas zu holen, kam jedoch mit leeren Händen zurück. »Mist!«, rief er verärgert. »Ich dachte, ich hätte die Partitur im Koffer, aber da ist sie nicht. Ich hab sie wohl neulich herausgenommen, damit das Elgar-Konzert noch hineinpasst. Na, macht nichts! Du hast ein ausgezeichnetes Gehör, du bekommst es bestimmt schnell hin.«
Mittlerweile platzte Gregorio beinahe vor Neugier, was ihn jedoch nicht daran hinderte, sich angesichts dieses Kompliments aufzuplustern wie ein Pfau.
»Mal sehen, ob du das kennst«, sagte Rescaglio.
Er begann, pizzicato ein eindringliches, rhythmisches Motiv im Dreivierteltakt zu spielen, in der hohen Cellolage – papa PAM PAM/papa PAM PAM/papa PAM PAM –, und merkte schon beim zweiten Takt, dass der Junge das Stück erkannte.
»Master and Commander!«, rief Gregorio begeistert.
Die aus der Filmmusik zu dem Spielfilm Master and Commander bekannte Passacaglia war der vierte und letzte Satz eines berühmten Quintetts von Boccherini, auch einfach das Quintettino genannt. Mittlerweile war es dank der Verfilmung des Romans Manöver um Feuerland weltberühmt.
»Dann hast du den Film gesehen?«
»Logisch. Aber wie kommt es eigentlich, dass der Kapitän und der Arzt es allein spielen können, obwohl es ein Quintett ist?«
»Habt ihr zwei nicht gerade einen Song von den Beatles gespielt, die ein Quartett sind?«
»Das kann man nicht vergleichen, das ist Popmusik.«
»Popmusik? Und was ist Popmusik?«, fragte Rescaglio amüsiert.
Der Junge wollte schon antworten, doch Rescaglio gab ihm keine Gelegenheit dazu.
»Die Popmusik gibt es nicht, Gregorio! Und die klassische auch nicht! Musik ist einfach gut oder schlecht, das ist alles. Sowohl Pop- als auch klassische Musik bestehen aus den gleichen Bausteinen, und anhand der Konstruktion, und nicht anhand der
Weitere Kostenlose Bücher