Die Violine des Teufels
mich um.«
Er ging los, doch Gregorio rief ihm hinterher: »Warte! Was machen wir mit der Kohle?«
Nacho zögerte, unsicher, ob sie zuerst die Einnahmen teilen sollten, doch dann hätte er sich noch mehr verspätet.
»Die gibst du mir beim nächsten Mal. Aber pass bloß auf, ich weiß genau, wie viel es ist!«
Rescaglio ging in die Knie und half Gregorio rasch, die Tageseinnahmen in einem Nebenfach des Geigenkastens zu verstauen. Dann fragte er: »Hast du es auch eilig?«
»Nein, mein Vater ist verreist, ich kann also tun, wozu ich Lust habe.«
»Dann lade ich dich zu etwas ein. Dabei können wir uns ein bisschen über Musik unterhalten. Ich muss Kolophonium kaufen, begleitest du mich? Der Laden ist gleich neben der Metrostation, er wird dir gefallen. Bei denen gibt es alles!«
»Scherzando? Die kenne ich gut, ich wohne doch hier ganz in der Nähe.«
»Hast du ein Glück! Das ist hier ein sehr musikalisches Viertel, weißt du? Du wohnst in der Nähe des Teatro Real, hast gleich um die Ecke das beste Geschäft für Partituren und Musikinstrumente, das es in Madrid gibt, und obendrein ist da noch der Palacio Real mit seiner fabelhaften Stradivari-Sammlung. Das Juwel der Sammlung«, erklärte Rescaglio dem Jungen leise, als vertraute er ihm geheime Informationen an, »ist übrigens nicht eins der vier verzierten Instrumente des Quartetts, sondern ein Cello aus dem Jahre 1700, das Carlos III. gekauft hat. Es hat weder Mäanderbänder noch Greifen, aber es gilt trotzdem als eines der bedeutendsten Stradivari-Instrumente überhaupt.« Er machte ein vielsagende Pause. »Und weißt du was? Ich habe schon mehrfach davon geträumt, in den Palacio Real einzubrechen und das Cello zu stehlen.«
34
K aum waren die beiden bei Scherzando eingetreten, verfiel Gregorio wie immer, wenn er in dem großen Musikgeschäft war, in eine Art Trance, ausgelöst von dem faszinierenden, breit gefächerten Angebot an Musikprodukten für Amateur- wie Profimusiker.
Am liebsten wäre er mit dem riesigen Sack des Weihnachtsmanns hier angerückt, um ihn bis obenhin mit Partituren, Büchern und Instrumenten zu füllen. Der Zauber, den die zahllosen Schaukästen und Auslagen des Geschäftes auf die Käufer ausübten, verdankte sich nicht nur dem großen Angebot – bei Scherzando konnte man vom einfachen Kunststoffplektron für die Gitarre bis zum Cembalo aus dem siebzehnten Jahrhundert alles bekommen –, sondern auch der äußerst geschmackvollen Präsentation.
Von den Ausmaßen her erinnerte das Geschäft an einen großen Supermarkt, doch die erlesene Atmosphäre, die bei Scherzando herrschte, ließ die Bezeichnung Boutique passender erscheinen. Über die Lautsprecheranlage war Musik von Boccherini zu hören. Rescaglio wies Gregorio darauf hin und merkte an, dass das Cello diesem italienischen Musiker, der seine letzten Jahre in Madrid verbracht hatte, viel zu verdanken habe.
Als Rescaglio zur Kasse ging, um sein Kolophonium zu bezahlen, stellte Gregorio überrascht fest, dass der Italiener ihm einen neuen Satz Saiten für seine Geige kaufte.
»Das kann ich dir nicht zurückzahlen«, sagte der Junge verlegen.
»Ich hatte dir doch gesagt, dass ich dich zu etwas einlade, oder? Du hast bestimmt gedacht, ich lade dich zu einer Cola ein, was? Diese Saiten sind ein Geschenk des Hauses«, erwiderte Rescaglio mit seinem melancholischen Lächeln. »Eigentlich hätte ich dir auch neue Pferdehaare für den Bogen gekauft, denn die sind bei dir schon arg abgenutzt, aber das übersteigt leider mein bescheidenes Budget.«
Der Junge nickte und musste daran denken, dass sein Vater jedes Mal, wenn neue Pferdehaare für den Geigenbogen fällig waren – die Bogenbespannung muss regelmäßig erneuert werden, da die Haare sich an den Enden lösen –, fauchte wie eine Dampfmaschine, sich über die hohen Kosten beschwerte und ihn fragte, ob es nicht preiswertere gebe.
»Die aus Nylon oder Kunsthaaren nimmt man nur bei billigen Bögen, Papa. Bei einem ordentlichen Bogen muss man auch Pferdehaare nehmen, und zwar nur vom männlichen Pferd, weil die Stuten nach hinten urinieren und die Harnsäure die Haare in ihren Schwänzen schwächt und unbrauchbar macht.«
»Aber es sind doch trotzdem nur Pferdehaare. Warum sind die so teuer?«
»Weil sie von Pferden sein müssen, die in kalten Gebieten aufgewachsen sind, damit die Haare widerstandsfähiger sind. Die, die mein Lehrer mir kauft, sind aus der Mongolei.«
Rescaglio und Gregorio verließen das
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