Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Titel: Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Àngels Anglada
Vom Netzwerk:
er ihn an, schlug ihn aber nicht. »Ich gebe dir Bescheid, wann du dich beim Sturmbannführer einfinden sollst.«
    Daniel machte sich an die Arbeit, doch von Zeit zu Zeit wanderte sein Blick heimlich zu seiner Geige hinüber. Als der Kapo auf die Uhr sah und ihm befahl, sie zum Kommandanten zu bringen, vermischte sich seine Freude mit Angst.
    Mit dem Papier ließen sie ihn hinein. Diesmal ließ Er sich dazu herab, ihn direkt anzusprechen, wobei er ihn mit nur einem einzigen Satz zu degradieren wusste: »Ja, der kleine Tischler.«
    Er streichelte seinen Hund, und Daniel richtete sich unwillkürlich auf. Eigentlich war er groß, aber der andere überragte ihn um ein gutes Stück. Außerdem gingen die Häftlinge stets gebückt. Während Sauckel das Instrument prüfte, ließ er ihn schier endlose Sekunden im Ungewissen.
    Daniel schien Er schlechter Laune zu sein, Falten durchfurchten seine Stirn; vielleicht war er verkatert. Dem Anschein nach maß er der Geige keinen besonderen Wert bei, aber schließlich setzte er den Bogen auf die Saiten und spielte ein paar Takte. Seine Miene hellte sich auf, und er sagte lächelnd: »Ist in Ordnung. Du kannst in die Werkstatt zurückgehen, aber weh dir, wenn du dich dort auf die faule Haut legst! Ich behalte die Geige einstweilen. Hau ab!«
    Er wandte sich an einen Adjutanten, sprach aber absichtlich ziemlich laut, damit der Geigenbauer ihn hören konnte, und mit grausamer Genugtuung sagte er: »Ich habe den Geiger für seine Nachlässigkeit bestraft. Wir werden ihm das Instrument zurückgeben, wenn er aus der Zelle herauskommt. Was machst du noch hier? Verschwinde!«
    Das ließ sich Daniel nicht zweimal sagen. Er lief so schnell hinaus, dass er beinahe gestürzt wäre. Sein Mut der Verzweiflung hatte also dem großartigen Musiker die Strafe nicht erspart. Kein einziges Wort hatte er hervorgebracht, als er vor dem Kommandanten gestanden hatte, der schon seinen Hund auf ihn hetzen wollte. Niedergeschlagen kehrte er zu seiner Tischlerbank zurück, wo es ihm nie an Arbeit mangelte. Er war so vermessen gewesen – und in Grausamkeiten noch nicht erfahren genug – zu glauben, das Monster würde sich mit der Reparatur der Geige seines Leib-Musikers Bronislaw zufriedengeben, dass er diesen nicht für einen Zwischenfall bestrafen würde, an dem er keinerlei Schuld trug. Er wusste doch nur zu genau, dass im Dreiflüsselager keine Logik herrschte und noch viel weniger Gnade.
    Um sich nicht seiner Kraftlosigkeit hinzugeben, ausgelaugt und todmüde wie er war, versuchte er an die dicken Scheiben Brot mit Butter zu denken, die Eva zu essen bekam. Aber sofort nahm er den vorherigen Gedanken wieder auf; er hätte seine Angst überwinden und den Kommandanten darauf aufmerksam machen müssen, dass die Reparatur provisorisch war und vermutlich eine weitere, gründlichere notwendig sei: das Instrument aufmachen, von innen die Decke mit geeigneten, dünnen Holzleisten verstärken. Es war ihm jedoch nicht möglich gewesen, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen, sein Mut hatte sich am Vortag erschöpft, Schlingen aus Eis und Furcht hatten seine Lippen verschlossen. Was würde geschehen, sollte der Riss wieder auftreten? Was würde dann mit ihm und dem Musiker passieren? Diese eine Frage ging ihm den ganzen Tag, die gesamte Arbeitszeit von elfeinhalb Stunden durch den Kopf und hörte nicht auf, ihn zu quälen.
    Bei der mittäglichen Suppenausgabe sprach er mit seinem Bekannten, dem Mechaniker, der erleichtert aussah. Da Daniel die Nacht über fortgeblieben war, hatten die Kameraden befürchtet, man hätte ihn wieder in die Zelle gebracht. Er hingegen hatte, während er versunken an der Geige gearbeitet hatte, gar nicht an die anderen gedacht. Nicht, dass er vergessen hätte, wo er sich befand, aber er hatte es im hintersten Winkel seines Gehirns verstaut: alles, die Schläge, den Schlamm, den Raureif, den feuchten Nebel, den Schatten des Galgens, die Schreie und die Demütigungen. All das war erst wieder an die Oberfläche zurückgekehrt, als er Sauckels Worte »Ich habe den Geiger bestraft …« gehört hatte. Und mit ihnen waren auch Daniels Erinnerungen plötzlich wieder da gewesen, so als zappelten sie wie ein gefräßiger Fisch an einem tödlichen Angelhaken.
    Wenigstens hatten sie Bronislaw nicht gezüchtigt, zumindest nicht öffentlich: Sie mussten nicht antreten, aber möglicherweise war er unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Keller geschlagen worden, wie es des Öfteren geschah. Wenn man

Weitere Kostenlose Bücher