Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)
selbst Bronislaw auf solche Weise misshandelt hatte, würden sie früher oder später alle einmal dran glauben müssen.
Es war besser, nicht weiterzugrübeln, sondern sich auf hoffnungsvollere Aussichten zu konzentrieren: Sie werden mich bald wieder zu Arbeiten ins Haus abkommandieren. Ich habe gehört, dass das Schwein noch ein weiteres Regal will. Vielleicht wird mir die Köchin irgendwelche Essensreste zustecken. Jedenfalls ist morgen Donnerstag, der einzige Tag, an dem es statt der wässrigen Rübensuppe Pellkartoffeln gibt. Unter Umständen erwische ich eine große …
Wie ein zu langer Mantel, der langsam über den Boden schleift, vergingen die Stunden dieses Tages, der ihm, weil er in der Nacht kaum geschlafen hatte, unendlich vorkam, länger als jeder andere, abgesehen von den vieren, die er wie ein geprügelter Hund im Arrest verbracht hatte. Am Abend wurde in der ganzen Baracke getuschelt. Der Mechaniker wusste wieder Neues zu berichten. Aber Daniel wollte es weder hören noch wissen, denn er fiel fast um vor Müdigkeit und las in den Augen der Kameraden, dass es schlechte Nachrichten waren. Er war sich sicher, er würde danach kein Auge mehr zutun können, und er spürte auch, dass er krank werden würde, reif für die »Krankenstation«, für die halb im Verborgenen stattfindenden Transporte, für das Todeslager, wenn er nicht schlief.
Morgen, sagte er sich, morgen.
Das undeutliche Gemurmel um ihn herum wiegte ihn in den Schlaf. Es gab nichts – außer der Zeit, außer dem Lebensfluss -, das nicht warten konnte. Er befand sich im Traum in einer riesigen, kalten, verqualmten Wartehalle. Endlos lange Züge fuhren an den Bahnsteigen vorbei, man sah sie nur zur Hälfte durch die Fensterscheiben, Güterzüge, Viehwaggons, und sie hielten nicht an. Dann gingen die Türen auf, Bekannte Daniels wurden auf den Bahnsteig getrieben, er aber verharrte reglos auf der gusseisernen Bank. Von der Decke des Wartesaals hingen Kadaver, hingen Geigen. Ein Zug blieb stehen, ein Bahnhofsvorsteher mit Militärmütze, der den gleichen Blick hatte wie der Gast mit den gütigen Augen, schob ihn jedoch zur Seite:
»Du nicht«, sagte er. »Das ist nicht dein Zug. Du musst die Geige fertigbauen.«
Ein Aufseher kam näher und schwang die Peitsche. Daniel wollte fliehen, hob ein Bein, aber er konnte nicht laufen, er öffnete den Mund, konnte aber keinen Ton hervorbringen. Als er ihn noch weiter aufriss, löste sich ein Schrei.
»Ruhig, ich bin ja da, du hast nur geträumt.«
»Es war richtig von dir« – Freund aß seine Morgenration Brot und sprach mit vollem Mund -, »dass du gestern Abend die Nachrichten nicht hören wolltest. Du warst zutiefst erschöpft, und sie hätten dir nur den Schlaf geraubt.«
»Jetzt geht es mir aber besser, du kannst sie mir also erzählen.«
An diesem frühen Morgen ging der Appell rasch vorbei, denn es gab keine Zwischenfälle; es war viertel sieben. Also setzten sich beide in der Dunkelheit auf einen Stein, damit der Geigenbauer die grausamen Tatsachen erfahren konnte. Er war bloß durch einen merkwürdigen Zufall davongekommen, vielleicht weil Gott es so wollte, vielleicht wegen seiner dickköpfigen Entschlossenheit, die Geige zu reparieren. Rascher hatte sicherlich deshalb ein so enttäuschtes Gesicht gemacht, denn der Handwerker wäre für ihn, wegen seiner Jugend und seiner noch nicht völlig ruinierten Gesundheit, eine gute Beute gewesen. Vier junge Männer hatten sie für die Versuche dieses Scheusals weggeschafft, und einer von ihnen war aus seiner Baracke.
»Du hast gestern nicht einmal bemerkt, dass einer von uns fehlt.«
»Und was haben sie mit ihnen vor?«
Der Kamerad hatte, da er in der Reparaturwerkstatt des Fahrzeugparks arbeitete, Informationen aus verlässlicher Quelle; bei der Arbeit kam ihm allerhand zu Ohren, und der Fahrer eines Obersturmführers hatte einem anderen ohne Umschweife von den Versuchen Raschers erzählt.
Zum Glück habe ich mich hingesetzt, dachte Daniel angesichts des Grauens, das ihm die Glieder hochkroch wie eine Schlange aus dem Morast. Durfte das wahr sein? War denn so eine Schandtat möglich? Während er den Stimmriss verleimt und die Holzmaserungen der Geige genau aufeinandergepresst hatte – mutmaßte er und musste sich den Mund zuhalten, um sich nicht zu übergeben, um nicht in Beschimpfungen auszubrechen -, tauchten diese Dreckskerle die abtransportierten Häftlinge in eine mit eiskaltem Wasser gefüllte Badewanne.
»Bis vier Grad«,
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