Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)
der Geige eingenickt, den Kopf vornüber auf dem Tisch. Offensichtlich hatte es sonst niemand bemerkt oder zumindest keiner beim Kapo denunziert, so wie es manchmal geschah, um Gutpunkte zu sammeln.
Ich darf auf gar keinen Fall mehr bei der Arbeit einschlafen, schärfte er sich ein. Seit ein paar Tagen wusste er durch Bronislaw, den Geiger, was auf dem Spiel stand. Dieser war, seitdem Daniel ihn vor dem Kommandanten in Schutz genommen hatte, als ob sie nicht beide gleich hilflos und ohnmächtig wären, sein Freund. Glücklicherweise war der Musiker trotz Arrest den Peitschenhieben und dem »Frühjahrsputz« entgangen. Und immer wenn der Kommandant nicht seine Dienste als Geiger im Trio oder im Orchester in Anspruch nahm, arbeitete er jetzt in der Küche. In der Nähe der Feinde nutzte er dann sein feines Gehör, um möglichst viele Gesprächsfetzen aufzuschnappen.
Beide verdankten seiner Meinung nach dem Gast mit den gütigen Augen ihr Leben, einem Freund von Tisch, Schindler, der ein sehr guter Goi war. Seine Fabrik lag allerdings weit von hier entfernt, und er war nicht noch einmal wiedergekommen. Der gefürchtete Rascher aber kam, obwohl er in ein anderes Lager versetzt worden war, regelmäßig zu Besuch. Er brüstete sich damit, dass ihn SS-Reichsführer Himmler persönlich, dieses große Schwein , zu seinen Aufwärmungsversuchen an unterkühlten Häftlingen beglückwünscht hatte.
»Gib dir beim Bau der Geige größte Mühe; ich weiß, du wirst dein Bestes geben! Ich denke, dass Sauckel an einer meisterhaften Arbeit interessiert ist, er sammelt schon sehr lange Instrumente. Wie viele davon er widerrechtlich in seinen Besitz gebracht hat, will ich mir gar nicht vorstellen! Was deine Geige betrifft, so hat er jedenfalls mit dem teuflischen Rascher um eine Kiste Burgunderwein gewettet.«
»Hast du das wirklich richtig verstanden?«
»Nicht in allen Einzelheiten, weil wir ihnen nicht zu nahe kommen dürfen, aber ich habe gehört, dass der Arzt dem Tyrannen eine Kiste Burgunder schuldet, wenn du die Geige rechtzeitig fertigbaust und sie dazu noch gut klingt – die Frist, die sie dir dafür geben, ist mir leider unbekannt.« Daraufhin schwieg er und fuhr erst nach einer Weile zurückhaltend und widerstrebend fort:
»Rascher, der Mörder, mag aber keinen Wein. Er trinkt lieber Bier.«
»Was willst du damit sagen?«
Bronislaw war sich nicht sicher, hatte aber aufgrund der aufgeschnappten Gesprächsfetzen eine Vermutung. Er sträubte sich verzweifelt, damit herauszurücken. Der verbrecherische Arzt hatte es nämlich nicht auf Dinge abgesehen, sondern auf Personen, auf Körper, soviel war klar. Es stand zu befürchten, dass sein Preis, sollte er die Wette gewinnen, der Geigenbauer selbst war. Eine Kiste Wein gegen die Auslieferung Daniels an das Lager, in dem Rascher jetzt »tätig« war. Aus der Sicht der Schweine ein hoher Preis für einen Untermenschen.
VI
DAS LEID GLEICHT EINEM
WEITEN RAUM:
ICH VERMAG MICH NICHT
ZU ERINNERN,
WIE ES BEGANN ODER
OB AUCH NUR EIN EINZIGER TAG
FREI VON IHM WAR.
Emily Dickinson
Schreiben an Himmler wegen Verwendung des Zahngolds verstorbener Häftlinge, 1942
SS=Wirtschafts=Verwaltungshauptamt
Tgb. Nr. 892/42 geh.
An den Reichsführer=SS
Berlin
Reichsführer!
Das von verstorbenen Schutzhäftlingen stammende Zahn=Bruchgold wird auf Ihren Befehl an das Sanitätsamt abgeliefert. Dort wird es für Zahnbehandlungszwecke unserer Männer verwendet.
SS=Oberführer Blaschke verfügt bereits über einen Bestand von über 50 kg Gold, das ist der voraussichtliche Edelmetallbedarf für die nächsten 5 Jahre.
Ich bitte um Bestätigung, daß das künftig aus den normalen Abgängen der KL anfallende Zahn=Bruchgold an die Reichsbank gegen Anerkennung abgeliefert werden darf.
Heil Hitler!
I.V.
Frank
SS=Brigadeführer und Generalmajor der
Waffen=SS
Aussage Otto Ambros
vor dem Nürnberger Militärgericht im IG=Farben=Prozeß (Fragment)
Das Furchtbarste war die Mißhandlung der Häftlinge durch die Kapos. Sie gingen mit den Häftlingen unmenschlich um. Mir ist in Auschwitz von Walther Dürrfeld bzw. Oberingenieur Faust berichtet worden, daß Häftlinge auf der Flucht erschossen worden sind.
Ich wußte, daß die Häftlinge selber keine Bezahlung erhielten. Es wurde etwa 1943 von der IG ein Prämiensystem für Häftlinge eingeführt, den Häftlingen eine Möglichkeit zu geben, in der Kantine Zusätzliches zu kaufen und gleichzeitig, um die Leistung der
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