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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Tochter bewogen haben konnte, gerade dann zu fliehen, wenn die Sgreccias ihn zum Essen einluden.
    »Setz dich, Matteo!« sagte Angelo. Er wies auf einen Stuhl am gedeckten Tisch. Vannoni stützte sich mit beiden Händen auf die Lehne und sah zu, wie Angelo ein Glas mit Weißwein füllte.
    »Wo sitzt ihr normalerweise?« fragte Vannoni.
    »Was?«
    »Habt ihr feste Plätze am Tisch?«
    »Stell dich nicht so an!« sagte Angelo. Er selbst schenkte sich Wasser ein.
    »Ich möchte niemandem etwas wegnehmen«, sagte Vannoni. Es klang verbitterter, als er es gemeint hatte. Er setzte sich. Angelo schob ihm das Glas Wein zu.
    »Auf die alten Zeiten!« sagte er. Vannoni nickte, sie tranken sich zu und stellten die Gläser ab. Aus der Küche war das Klappern von Kochgeschirr zu hören. Es roch nach ausgelassener Salsiccia und Kräutern. Fünfzehn Jahre lang hatte Vannoni sein Essen in die Zelle geliefert bekommen. Er hatte fast vergessen, daß Kochen eine Tätigkeit war, die man hören und riechen konnte.
    »Kannst du dich an Tacchinardi erinnern, der uns in der Scuola Media immer ellenlange Gedichte von d’Annunzio auswendig lernen ließ? Wir verstanden jedes zweite Wort nicht, geschweige denn den Sinn«, sagte Angelo.
    »Tacchinardi?« fragte Vannoni. Das war der Fettwanst gewesen, der seine Patschhände kaum hinter dem Rücken verschränken konnte. Natürlich erinnerte sich Vannoni, doch interessierte ihn kaum etwas weniger als die alten Schulgeschichten. Er bezweifelte, daß Angelo sie so überaus spannend fand. Nein, es war nur Geplauder. Hielt Angelo nicht einmal ein paar Sekunden Schweigen aus, wenn er mit ihm allein im Raum war? Oder wollte er nur verhindern, daß das Gespräch auf Catia zurückkam?
    »Der ist jetzt auch tot«, sagte Angelo. »Herzinfarkt. Während des Unterrichts. Und ich dachte, er wäre schon längst pensioniert.«
    Vannoni starrte auf den Fernseher, der unter der Zimmerdecke an der Wand befestigt war. Die Mattscheibe war schwarz. Nein, eher eine Mischung aus Grau und Dunkelgrün. Unwillkürlich suchte Vannoni auf dem Bildschirm nach eingebrannten Schatten, die ihn das letzte Bild, das zu sehen gewesen war, erraten ließen. Er wußte, daß das nicht möglich war. Er fragte sich, wieso Angelo »auch tot« gesagt hatte.
    »Ciao, Bruderherz«, sagte Elena. Sie stellte eine Schüssel mit Pasta in die Mitte des Tischs. Dann wischte sie ihre Hände an der Schürze ab und küßte Vannoni links und rechts auf die Wange.
    Auch tot. Natürlich bezog sich das auf Giorgio Lucarelli. Das ganze Dorf sprach von nichts anderem. Obwohl Vannoni jeden Kontakt mied, hatte er die Neuigkeit von seinem Fenster aus mitbekommen. Daß Giorgio gestorben war, ließ Vannoni seltsam teilnahmslos. Er war nicht einmal besonders überrascht gewesen. Da er glaubte, es sich schuldig zu sein, hatte er in sich hineingehört, nach Mitgefühl, Bedauern, heimlicher Befriedigung, hämischem Triumph geforscht, doch er hatte nichts von alldem gefunden. Da war nur Leere gewesen, ein Achselzucken. Giorgio war tot. Na und?
    »Weißt du noch, wie wir Tacchinardi Reißnägel auf denStuhl gelegt haben? Er hat sich daraufgesetzt und ist stur sitzen geblieben. Keine Miene hat er verzogen, keinen Ton gesagt. Wir dachten, es hätte nicht geklappt, doch heute bin ich mir sicher, daß er sich nur keine Blöße geben wollte. So war Tacchinardi.«
    Vannoni wußte, daß es keinen Grund gab, sich aufzuregen. Angelo versuchte nur, rücksichtsvoll zu sein. Er hatte sich wahrscheinlich vorgenommen, den Abend mit harmlosen Kindheitsgeschichten über die Runden zu bringen. Das »auch tot« war nur ein Versprecher gewesen, ein kleines, klebriges Mißgeschick beim Versuch, das Gespräch in Zuckerwatte zu packen. Vannoni meinte die Regeln nachklingen zu hören, die Angelo vorher ausgegeben hatte: Die Bluttat an Maria ist tabu, kein Wort von Giorgio, so wenig wie möglich über Catia, bloß keine heiklen Themen!
    Mit einem Schöpflöffel teilte Elena die Nudeln aus. Es waren Rigatoni pasticciati, nur daß das Hackfleisch in der sahnigen Sauce durch Salsicciastückchen ersetzt worden war.
    »Parmigiano?« fragte Elena.
    Vannoni schüttelte den Kopf. Er nahm die Gabel und stocherte in seinem Teller herum.
    »Magst du Rigatoni nicht mehr?« fragte Elena.
    »Doch«, sagte Vannoni. Er steckte ein paar Nudeln in den Mund. Er kaute.
    »Ich war kürzlich mal dort«, sagte Angelo. »Sie haben unsere alte Schule immer noch nicht renoviert. Kein Geld, sagt die Kommune. Man

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