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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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vorbei, dem Americano, der erst in ein paar Tagen für seinen üblichen Sommeraufenthalt nach Montesecco zurückkehren würde, an Curzios Haus vorbei, aus dem Marisa trat und sich anschloß, als wäre das eine heilige Pflicht, Carlo Lucarelli nach, der mit seinen O-Beinen unbeirrt ausschritt und oben um die Ecke der Kapelle bog.
    Der Platz vor der Bar war verwaist, nur Matteo Vannoni saß auf der Brüstung, rauchte eine Zigarette und schaute auf das Lichterfeld des Friedhofs hinunter. Zwei Tage lang hatte er sich hier nicht sehen lassen, nein, fünfzehn Jahre plus zwei Tage. Lucarelli blieb stehen.
    Vannoni wandte sich um. Er sagte: »Mein Beileid, Carlo.«
    Lucarelli zögerte. Er antwortete nicht, nickte nur kurz und setzte sich an den Tisch unter der vorderen Esche. Zusätzliche Stühle wurden aus der Bar herangeschafft. Bald saßen alle, Angelo Sgreccia neben Marisa Curzio, Antonietta neben Paolo Garzone, Marta, Ivan, der alte Marcantoni, seine Schwester Costanza. Wohl zum erstenmal, seit es die Bar gab, war das ungeschriebene Gesetz aufgehoben, das die Männer unter sich bleiben ließ und den Frauen die Randplätze zuwies. Niemand schien es zu bemerken. Alle warteten darauf, was Carlo Lucarelli zu sagen hatte.
    Lucarelli sagte: »Verbrecher gibt es überall. Sie sitzen in der Regierung und verprassen das Geld, das sie uns aus der Tasche gezogen haben. Sie sitzen in den Ämtern und lassensich für jede Baugenehmigung schmieren. Sie sitzen in den Baufirmen und stellen Krankenhäuser hin, die nach einem Jahr wieder zusammenfallen. Sie gehen in Sizilien von Laden zu Laden und schlagen alles klein, wenn einer kein Schutzgeld zahlt. Sie sitzen bei der Polizei, zucken die Achseln und lachen dich aus, wenn du sagst, daß dein Sohn ermordet worden ist. Verbrecher gibt es überall. Warum sollte sich nicht auch einer zu uns nach Montesecco verirrt haben?«
    »Giorgio ermordet?« Angelo Sgreccia fragte so vorsichtig nach, als fürchte er, die Worte könnten ihm die Kehle verstopfen.
    »Wer sollte denn ...?« Ivan brach ab.
    »Sicher, es ist merkwürdig, daß er ...«, sagte Marisa Curzio, »... aber niemand würde doch mit einer Viper ...«
    »Es war doch ein Vipernbiß, oder?« fragte Lidia Marcantoni.
    Der alte Lucarelli wischte sich über die Stirn. »Es hat Stunden gedauert, bis Giorgio tot war. Sechs, sieben Stunden mindestens. Das hat mir der Arzt bestätigt. Paolo hat ihn gegen Abend gefunden, aber er muß schon am Vormittag gebissen worden sein.«
    Paolo Garzone nickte.
    »Und?« fragte Lidia Marcantoni.
    »Sechs, sieben Stunden!« sagte Lucarelli.
    »Was hat er so lange getan?« fragte Angelo Sgreccia.
    »Warum hat er nicht Hilfe geholt?« fragte Marta Garzone.
    Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Carlo Lucarelli hob die Hand und sagte: »Ja, warum hat er nicht Hilfe geholt? Ich frage mich das, und ihr fragt euch das auch. Aber es gibt immer zwei Seiten. Man kann alles so oder so sehen. Oder?«
    »Es ist doch ganz klar, daß ...«, sagte Ivan Garzone.
    »Nicht, Matteo?« fragte der alte Lucarelli. Er blickte zu dem Mann auf dem Mäuerchen hin.
    »... daß Giorgio unmöglich sieben Stunden ...« Ivan verstummte. Wie alle anderen starrte er Matteo Vannoni an.
    »Was meinst du dazu? Als einer von außen?« fragte Lucarelli. »Als einer, der sich mit Mord und Totschlag auskennt?«
    »Laßt ihn in Ruhe!« sagte Elena Sgreccia.
    »Matteo?« fragte der alte Lucarelli.
    »Ich war mit Giorgio im reinen«, sagte Vannoni. Er schnippte die Zigarettenkippe weg. »Schön«, sagte Lucarelli. »Wenn du mit ihm im reinen warst, dann hilfst du sicher mit, den zu finden, der nicht mit ihm im reinen war. Sag, was du meinst!«
    Die Grillen sangen, der Mond sichelte über den Hügelkamm von Nidastore, und vom Friedhof blinkten die Lichter herauf.
    Es war schwer zu begreifen, warum Vannoni nicht einfach aufstand und nach Hause ging. Meinte er, es sei feige abzuhauen? Er war jetzt einer von außen, doch Montesecco war einmal genauso sein Dorf gewesen wie das aller anderen. Vielleicht wollte er zeigen, daß er hierhergehörte. Daß er sich seinen Platz zurückzuerobern gedachte. Er sagte: »Vielleicht hat Giorgio keine Hilfe geholt, weil er nach dem Biß stürzte, mit dem Kopf gegen einen Stein prallte und ohnmächtig wurde.«
    »War Giorgio vielleicht nur ohnmächtig?« Es klang hämisch, als Carlo Lucarelli die Vermutung wiederholte. So, als wolle er sie zum Abschuß freigeben.
    »Sieben Stunden lang ohnmächtig?« Paolo Garzone murrte als

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