Die Vision
ein eigenes Wappen zulegen sollte und ob er ein blödes – Kriegszelt kaufen sollte. Einfach nicht zu fassen. Und schlecht ist es ihm bekommen, wenn man den Ausgang bedenkt.«
»O weh. Das hört sich ganz und gar nach ihm an. Er mußte schon immer alles auf die Spitze treiben. Wurden in Bierschwemmen Verse geschmiedet, ei, da mußte er der beste sein – ha, ich entsinne mich noch, wie man ihn einst nach einem Sieg in einem Liederwettbewerb in einer Schenke durch die Straßen von Paris trug. War Metaphysik in Mode? Er sprach am flüssigsten über die quattuor causae. Dann hörte er von der Gottsuche. Ha! Er war der mystischste Mystiker, der mir je untergekommen ist – bis ihn selbst die Kartäuser nicht mehr haben wollten, der Himmel weiß, warum. Keiner konnte es mit ihm aufnehmen, wenn es um übertrieben zerlumpte Kleidung und Nachtwachen ging. Und jetzt macht er wohl in Rittertum.« Bruder Malachi lachte in sich hinein. »Kann mir schon denken, daß er ganz unleidlich ist. Ist er häufig, wenn er seine modischen Allüren auf die Spitze treibt. Doch offen gestanden, hat er – und dabei kennen wir uns schon lange – nie den Eindruck erweckt, daß er Familie hätte.«
»Ihr kennt euch lange? Ihr kennt ihn wirklich schon lange? Das habe ich nicht gewußt – er hat sich nie etwas anmerken lassen, wenn ich von Euch erzählt habe.«
»Von mir erzählt? Ach ja, diese Geschichte mit den Memoiren. Von allen Überraschungen des heutigen Tages dürfte wohl keine größer sein, als daß er möglicherweise doch die Wahrheit gesagt hat, als er erzählte, er hätte dich beim Aufschreiben deiner Lebensgeschichte kennengelernt. Wirklich, Margaret, wer hat dir bloß die Idee in den Kopf gesetzt? Du hast noch nicht lange genug gelebt, als daß du etwas zu sagen hättest. Nicht zu fassen. Und ich dachte, ihr hättet die ganze Zeit ein Verhältnis gehabt.« Bruder Malachi schüttelte den Kopf, als ob der Wunder dieser Welt kein Ende wäre. Das erboste mich doch sehr, und ich mußte mir auf die Zunge beißen, daß ich ihm nicht sagte, er wäre sehr ungerecht und niedrig gesinnt obendrein. Er sah den Blick und lachte.
»Sei ehrlich, Margaret – wer außer dir käme schon auf eine solch abwegige Idee? Man muß damit rechnen, daß die Menschen immer das Schlimmste annehmen. Und als du ihm von mir erzählt hast, da hast du wahrscheinlich nicht gewußt, daß ich, seit wir uns getrennt haben, einen anderen Namen angenommen habe. Das war vor geraumer Zeit, als ich meine Zelte sehr schnell abbrechen mußte –« Ein Anflug von Traurigkeit huschte über Bruder Malachis sonst so sonniges Gesicht wie eine Wolke, die rasch vorüberzieht. »Aber offen gestanden, ich staunte doch nicht schlecht, als er auftauchte und sich Geld borgte, um dich zu entführen. Schwafelte davon, daß er ein Pferd mieten wollte und so fort. Mein Gott, ich hatte ihn seit Paris nicht mehr gesehen, wo er unter dem nom de guerre Gilbert l'Escolier bekannt war und verleumderische, theologische Traktate und satirische Gedichte schrieb. Ein Mann von ganz einzigartiger Begabung, Margaret, die größte jedoch war, andere ins Unrecht zu setzen und selber recht zu behalten. Hochfahrend, unleidlich und geistreich wie Satanas – aber daß er genug für Frauen übrig hatte, um dich auf diese Weise zu entführen, darauf wäre ich nie gekommen. Und halb London ihm auf den Fersen! Unser Gilbert hat es noch nie geschafft, eine Stadt ohne Skandal zu verlassen. Habe ich dir eigentlich erzählt, wie man in Paris sein Buch verbrannt hat? Der Idiot! Erzählte mir, er hätte zwölf unwiderlegbare theologische Thesen dafür, daß alle anderen im Unrecht wären – und hat natürlich ausgeharrt und sich schnappen lassen. Weltfremd – ja, weltfremd und halsstarrig allewege, so ist unser Gilbert, der Selbstgerechte.«
»Mich dünkt, wir sehen ihn ganz ähnlich«, seufzte ich. »Aber wie bekomme ich ihn wieder?« Bruder Malachi blickte sinnend zur Decke.
»Ja, Margaret – das ist der schwierige Weg. Mir will scheinen, daß es für unsere gesamten Probleme eine einzige Lösung gibt: Ja – ja, wie einleuchtend. Natürlich sind da die Kosten – aber – hmm. Wieviele Florin, hast du gesagt? Zehn? Ja. Wir müssen sie vervielfachen, insbesondere wenn du mit uns kommen willst.«
»Oh, Ihr könnt sie vervielfachen – ich habe es ja gewußt. Könnt Ihr genügend herstellen, daß ich ihn freikaufen kann?«
»Nicht vom Comte de St. Médard, Margaret. Der ist abartig, und reich ist er
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