Die Vision
bereits. Wahrscheinlich hat er irgendeinen lächerlichen Grund, warum er das Lösegeld noch nicht festgesetzt hat. Aber – und das kommt uns gut zupaß –, gib zu, Margaret, daß es ohne mich nicht geht – er ist uns, die wir auf der Suche nach dem Grünen Löwen sind, wohlbekannt. Ich denke doch, daß ich ihm einen Tauschhandel vorschlagen kann. Ich werde ihm genau das anbieten, was er unbedingt haben will, und dazu noch meinen Ruf, jedenfalls das, was noch von ihm übrig ist, in die Waagschale werfen. Hast du gewußt, daß ich einst hochberühmt war? Und wenn wir Gilbert wiederhaben, geht es heia-ho auf zu den großen Brennpunkten der Gelehrsamkeit und zu meinem Übersetzer.«
»Wie das, Bruder Malachi? Auf der Suche nach dem Grünen Löwen? Tauschhandel? Wieso bekommt Ihr übrigens keinen Übersetzer in England?«
»Ach, unsere kleine Margaret, die sparsame Haushälterin. Wie üblich durchschaue ich dich und kann all deine Gedanken lesen. Du denkst an deine letzten Florin, nicht wahr? Du denkst, ich lege dich herein wie einen Dorftrottel, einen Hinterwäldler? Als ob wir nicht schon so lange Freunde wären, Margaret, daß du eigentlich wissen solltest, in der eigenen Familie mache ich keinen Gebrauch von meinen Tricks? Ja – und du bist doch meine Familie, genau wie Ciarice und die kleine Bet hier. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn du uns für ein Leben in Glanz und Gloria verlassen hast.«
»Entschuldigung, Bruder Malachi. Das war wohl kleingläubig von mir. Ich habe zu lange mit Gregorys Verwandtschaft zusammengelebt.«
»Sehr gut, die Entschuldigung ist angenommen. Komm mit ins Laboratorium; ich möchte dir mein Buch zeigen, das dürfte der schlagende Beweis sein.« Er blickte zur niedrigen Tür des Hinterzimmers, und da bemerkte er auf einmal Sim. Mit Sim stimmt etwas nicht; obwohl ich ihn schon eine Reihe von Jahren kenne, ist er nicht weitergewachsen. Er ist immer noch so klein wie ein Achtjähriger, dabei dürfte er mittlerweile so zwischen zwölf und vierzehn sein. Sein Kopf ist groß und ein wenig mißgestaltet, er zeigt beim Lächeln Zahnlücken und hat die schlauen, dunklen, kleinen Augen eines Jungen, der sich auf der Straße durchgeschlagen hat. Er hängt an uns wie eine streunende Katze, nachdem wir ihm damals, vor langer Zeit, zu essen gaben, und klebt seitdem wie eine Klette an Bruder Malachi. Sim hat gelauscht und alles auf seine stille Weise aufgenommen.
»Sim, du Teufel! Warum paßt du nicht auf das Feuer auf? Wehe, es ist ausgegangen, dann kannst du etwas erleben! Der Himmel bewahre uns vor den Tricks fauler Lehrbuben!« Sim eilte vor uns ins Laboratorium und schürte das Feuer mit übertriebenem Eifer, während ich mich bückte und Bruder Malachi durch die offene Tür ins Hinterzimmer folgte. Mutter Hilde kam auch mit und schloß die Tür, damit die Knechte uns nicht hören konnten.
»Nicht, daß ich hier nicht landauf landab nach einem Übersetzer gesucht hätte«, sagte er und schnaufte, als er einen Bücherstapel von einer kleinen Truhe räumte, die versteckt in seinem Andachtswinkel stand. »Krakel, so habe ich bei mir gesagt, sieht mir nach Hebräisch aus. Damit gehe ich zur Universität Oxford. Da gab es doch einst einen gewissen Benjamin Magister, einen Juden, der hatte die Erlaubnis, in England zu bleiben, da er das Alte Testament übersetzen sollte. Der war tot. Trieb alsdann einen jämmerlichen Doktor der Theologie auf, der trug die Nase hoch und sagte, da das Alte Testament bereits übersetzt sei, brauchte man keine Juden mehr an der Universität. Pu! Ein schöner Gelehrter ist mir das! Habe Nachforschungen angestellt. Machte mich auf die Suche nach einem gewissen Isaak le Convers, der irgendwo in Sussex leben sollte, und fand am Ende seine ältliche Tochter – die konnte kein Wort entziffern.«
Malachi hob die kleine Truhe hoch und stellte sie behutsam mitten auf seinen Arbeitstisch. Während er nach dem Schlüssel suchte, fuhr er fort:
»Im ganzen Königreich habe ich gesucht, nichts habe ich unversucht gelassen. Am Ende war ich so verzweifelt, daß ich nach London zurückkehrte und mich zum Domus Conversorum begab, obschon alle Welt weiß, daß seit fünfundzwanzig Jahren kein Jude mehr zum Christentum übergetreten ist. Als der König damals die Juden auswies, brauchte man auch kein Haus für Konvertiten mehr. Nur daß sich der Kustos des Domus seit der Zeit ein hübsches Einkommen durch Vermieten der Zimmer verschafft. ›O nein‹, sagte der Kustos,
Weitere Kostenlose Bücher