Die Vision
›ich habe doch nur meine Christenpflicht getan – ich habe einen spanischen Seemann in Vollpension hier, der möchte gern konvertieren‹ Ha! Wer möchte nicht gern seine Stellung behalten – insbesondere, wenn man sich dabei kein Bein ausreißen muß! Ich habe also fast einen ganzen Tag mit diesem Kerl verbracht, der sich Janettus von Spanien nannte. Er war wirklich Jude. ›Der Daus, das ist mir zu schwer‹, sagte der. ›Ich bin ein einfacher Mann und kenne nur ein paar Gebete – das hier steckt voller Rätsel. Ich kann kein Wort entziffern. Dafür braucht Ihr einen großen Übersetzer und Gelehrten, den größten auf der ganzen Welt. Ihr braucht Abraham den Juden.‹ Ich war Feuer und Flamme. ›Wo finde ich ihn?‹ ›Oh, der zieht durch die Lande. Als man mir von ihm erzählte, lebte er in Salamanca – aber es geht das Gerücht, daß er vom französischen König nach Paris eingeladen wurde, ein anderes will ihn in Montpellier wissen, vielleicht ist er auch auf Einladung des Papstes in Avignon.‹ Nebulös, vollkommen nebulös. Aber eines steht fest: Spanien oder Frankreich. Irgendwo steckt er. Und ich werde ihn finden. Ich ziehe ihn ins Vertrauen. Das Geheimnis – ich bin ihm so nahe, daß ich des Nachts aufwache und am ganzen Leibe zittere.«
Endlich hatte Bruder Malachi den Schlüssel aufgetrieben, er öffnete die kleine Truhe und holte liebevoll ein in gewachste Seide eingeschlagenes Paket heraus. Dann schuf er auf dem Tisch zwischen seinen Krügen und seltsam gefärbten Behältnissen aus spiralförmig wölkendem Rauchglas Platz und machte ihn mit dem Ärmel sauber. Ehrfürchtig legte er das Paket auf die freie Stelle. Hilde und ich beugten uns über den hohen Tisch, wir wollten ihm zusehen, wenn er die Seide aufschlug.
»Da, sieh dir das an, Margaret, dann begreifst du alles – und hörst auf, dich um das Schicksal deiner Florin zu sorgen. Natürlich müßt ihr beiden geheimhalten, daß ich es mit mir führe – insbesondere, wenn wir erst beim Grafen sind. Der bringt es fertig und sorgt dafür, daß ich auf dieser Welt keinen Gebrauch mehr davon mache. Manch einer von uns würde seinen Bruder um die Ecke bringen – nur um das in die Finger zu bekommen.«
»Von uns? Gewißlich würdet Ihr dergleichen nicht tun!«
»O nein, ich nicht. Aber mit ›uns‹ meine ich die ganze alchimistische Bruderschaft. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr einige meiner philosophischen Brüder außer sich geraten können. Die würden alles verkaufen, selbst ihre Kinder, würden mit jedem feilschen – einige sogar mit dem Teufel. Denen ist jede Methode recht, und wenn sie noch so widerwärtig ist. Du würdest staunen – Föten, Säuglingsblut, Jungfrauenschweiß –, was immer du willst, sie experimentieren damit! Hmpf! Ganz und gar nicht wissenschaftlich! Wie wollen sie zu Resultaten kommen, wenn sie einfach aufs Geratewohl arbeiten? Also ich, ich halte mich auf meiner Suche an die Zeichentheorie und an die Anleitungen der Alten Meister, welche um vieles klüger waren als wir. Nein, gleich vielen anderen brennen auch unter uns die Dummköpfe darauf, Gold herzustellen. Aber dennoch sind wir eine verschworene Gemeinschaft. Und das müssen wir auch sein – wenn Außenseiter von unserer Arbeit hören, lassen sie uns sehr oft entführen oder für Informationen ein wenig foltern.«
»Oh, ich hatte ja keine Ahnung. Ich habe gedacht, es ist gefährlich, weil es an Ketzerei grenzt.«
»Ach – das.« Bruder Malachi tat die Idee mit einer Handbewegung ab. »Einige sehen das so, andere wiederum nicht. An manchen Orten verstößt Goldmachen gegen das Gesetz. An anderen, wie in diesem Königreich, sagt der König: ›Je mehr Gold, desto besser; lassen wir sie doch arbeiten.‹« Es gab sogar einen Papst, der gehörte zu unserer Zunft, so wird gemunkelt. Aber es gibt rücksichtslose, geldhungrige Menschen, die alles darum geben würden, das Geheimnis der Transmutation in die Finger zu bekommen.«
»Offen gestanden, damit kenne ich mich auch ein wenig aus. An allem, was mir letztens zugestoßen ist, war irgendwie immer das Geld schuld. Die Transmutation ist offensichtlich noch schlimmer.«
»Genau. Aber wir sind ja nicht blöde – wir haben alles verschlüsselt. Wer nicht Adept ist, kann kein Wort entziffern. Wir haben Kennworte, geheime Erkennungszeichen und vieles andere mehr, wovon ich dir nicht erzählen will. Und wir Adepten beziehen uns nie direkt auf unser Tun – wir verwenden andere Begriffe. Einer davon ist
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