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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Goldherstellung?«
    »Nein, Margaret. Das Geheimnis der Transmutation ist viel größer, als einfach Gold herzustellen. Obwohl du es natürlich nutzen kannst, um aus unedlen Metallen Gold zu machen, wenn du willst – und deshalb sind die meisten so dahinter her. Die Transmutation gilt nicht nur für Metalle.«
    »Soll das heißen, sie verändert auch andere Dinge?«
    »Ja, man kann damit alles in etwas anderes umwandeln.«
    »Aber jedes Ding ist es selbst und nichts anderes. Ein Topf ist ein Topf, und ein Löffel ein Löffel.«
    »O ja, derzeit wohl. Doch der Topf war einmal Ton und wird eines Tages zu Staub. Und der Löffel war einmal Zinn, und wenn du ihn schmilzt, wird er wieder zu Zinn. Wenn du ihn erhitzt, wandelst du ihn um. Doch wenn du ihn immer weiter erhitzt und ihn überlistest, kannst du ihn in seine Grundelemente oder Essenzen zerlegen. Es gibt nur vier Elemente auf der Erde, vier Dinge, die unveränderlich sind: Erde, Luft, Feuer und Wasser. Daraus ist alles Übrige geschaffen, jedoch zu jeweils unterschiedlichen Anteilen vermischt, verstehst du?«
    »Ich glaube schon – wie ein Kuchen. Man verrührt Zutaten in anderen Abmessungen und bekommt etwas anderes dabei heraus.«
    »Ja, genauso, Margaret.« Bruder Malachis Gesicht hatte sich beim Reden verändert. Als schön konnte man ihn wirklich nicht bezeichnen. Frohgemut, aber nicht schön. Doch als er ernst wurde und die Arbeitsweise der Natur erklärte, da strahlte sein Gesicht Klugheit aus, und seine Liebe zu den geistigen Werten, von denen er sprach, machte ihn schön. Nun war mir klar, warum Hilde ihn liebte.
    »Aber Kuchen verwandeln sich nicht. Sie werden lediglich schlecht. Aus einem Kuchen kannst du kein Gold machen.«
    »Kuchen ist nicht aus Metall. Es ist dem Metall zu eigen, daß es nicht schlecht wird – und zu den Eigenarten des Kuchens gehört es, daß er sich auf diese Weise verwandelt.«
    »Oder gegessen wird.«
    »O ja, gegessen wird«, sagte er lächelnd und klopfte sich auf den Bauch, »doch das ist eine völlig andere Verwandlung.« Im Laboratorium roch es angebrannt.
    »Oh, mein Kuchen verbrennt mir!« Mutter Hilde nahm hastig die Ellenbogen vom Tisch, denn sie hatte neben uns gelehnt das Buch betrachtet, und eilte zur Feuerstelle auf der Diele, wo sie feststellte, daß Ciarice das Kuchenblech bereits vom Feuer genommen hatte. Malachi ließ sich dadurch überhaupt nicht aus der Ruhe bringen, angesichts der meisten häuslichen Katastrophen nichts Ungewöhnliches bei ihm.
    »Verbrennen ist auch ein Verfahren, um Kuchen zu verwandeln – aber hast du dich schon einmal gefragt, warum sich Dinge verwandeln? Das will ich erforschen. Nicht das Was, sondern das Warum«, fuhr er fort.
    »Wißt Ihr, warum?«
    »Im großen und ganzen wissen wir alle warum, wir Alchimisten, doch gerade die näheren Einzelheiten wollen sich nicht fassen lassen. Es gibt nämlich noch eine fünfte Essenz – ein anderes Element.«
    »Noch eines?«
    »Ja, doch nicht auf der Erde. Hast du dich nie gefragt, woraus die Sterne gemacht sind? Sie verändern sich nie. Die Himmel sind aus einem ganz besonderen Stoff geschaffen – Astralstoff, der sich von allem hier auf Erden unterscheidet. Dir zuliebe vereinfache ich jetzt ein wenig, damit du es verstehst, doch ich weiß, daß du das kannst – Hilde versteht es auch. Dieser himmlische Stoff – von dem ist in jedem irdischen Ding ein klein wenig vorhanden. Nicht viel, eher wie die Prise Salz am Kuchen oder im Eintopf oder worin auch immer. Und doch ist es die Prise von der fünften Essenz oder Quinta essentia – oder Quintessenz, wie wir sie nennen – in einem Ding, die eine Umwandlung möglich macht. Kurzum, wenn ich aus irgend etwas die Quintessenz herauszuziehen vermag, kann ich sie auf jede Substanz anwenden, was wiederum bewirkt, daß ich diese zu ihrer höheren Form umwandle.«
    »Aha – also verwandelt sich ein unedles Metall in Gold, denn das ist edler.«
    »Genau. Doch das wäre natürlich nur eine einzige, sehr gewöhnliche Umwandlung.«
    »O ja, das ist mir jetzt klar. Könnte man sie auch auf Menschen anwenden, Bruder Malachi?«
    »Durchaus – hast du dich nie gefragt, warum Menschen dahinwelken und sterben? Der Stein der Weisen, den ich suche, würde die Kranken heilen, da Gesundheit einen höheren Menschheitszustand darstellt. Er würde die Alten verjüngen – ei, der Mensch könnte Tausende von Jahren leben!«
    »Tausende von Jahren? Würde das nicht langweilig werden?«
    »Nicht, wenn man auch den

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