Die Vision
schallte es laut durch den großen Saal. »Lady Margaret hat ihren Ehemann freigekauft!« – »Nein, was für eine Liebesgeschichte!« seufzte jemand – ich glaube, es war die Gräfin.
Selbst der unsägliche Hugo sprang über den Tisch und schlug mir auf den Rücken. »Gut gemacht, Margaret!« brüllte er. »Wacker gespielt!«
Doch der Graf war rot vor Zorn. Seine Hängebacken bebten, als kollerte ein Hahn, und er röhrte wie ein Bulle. »Ruhe, Ruhe, oder ich erschlage euch allesamt!« Seine Hand fuhr zum Dolch in seinem Gürtel.
»Wie ungehobelt. Ungemein ungehobelt«, murmelte der Gesandte. »Ganz und gar nicht wie mein edler Herr. Gaston Phoebus ist ein Mann von Ehre, vornehmlich am Spieltisch, so wie es sich für einen Edelmann geziemt.«
Das überhörte der Graf und rollte mit den Augen. Er drehte sich um und spuckte Hugo seine Wut ins Gesicht. »Ihr da, Engländer. Vergeßt nicht, daß ich morgen auf Euch treffe. Bis auf den Tod. Und Ihr – Ihr habt gewonnen, Madame de Vilers. Jedoch –«
»Ich will ihn auf der Stelle frei haben. Und zwei Pferde. Morgen früh brechen wir auf.«
Seine Stimme wurde bedrohlich sanft. »So sagt an, was ist seine Freiheit ohne einen Geleitbrief wert?«
Ich zuckte zusammen. Welches Spiel spielte er jetzt?
»Wie wollt Ihr wohl wieder nach Haus kommen? Nicht mit dem Schiff. Um diese Jahreszeit verläßt kein Schiff mit Ziel Norden mehr Bayonne. Oder wollt Ihr etwa Aquitanien durchqueren und nach Guyenne, ins Hauptquartier des englischen Prinzen, reisen? Der hat sich für den Winter zurückgezogen, und zwischen ihm und uns liegen nur noch Söldner, und seid versichert, die schneiden englischen Reisenden genauso rasch die Kehle durch wie allen anderen Nationen. Nein, meine Liebe. Es gibt kein Entkommen. Ihr müßt durch mein Gebiet und dann durch neutrale Länder nach Norden, durch Foix, Burgund und jene Länder, die der Krieg noch verschont hat. Ich bin ein mächtiger Mann: Mit meinem Brief und Siegel gelangt Ihr nach Norden und in Sicherheit. Ohne diese seid Ihr so gut wie tot.«
»Ich – darauf wäre ich nie gekommen.« Das war kein Angebot, das war eine Drohung. Nie würden wir lebend aus seinen Bergen herauskommen. Darauf hatte er nicht geschworen, also konnten ihm die Zeugen das auch nicht anlasten.
»Ihr müßt mich verstehen. Ich verspüre keine Zuneigung für Euren Mann. Ich zähle ihn zu meinen persönlichen Feinden. Laßt uns also die Bedingungen, zu denen Ihr meinen Geleitbrief bekommt, in meinen Gemächern aushandeln, heute um Mitternacht. Kommt allein.«
»Aber –«
»Ist Euch noch nicht aufgegangen, daß er mit Euch schlafen will? Wieso sonst wohl die Scharade mit den Würfeln? Los, holt Euch den Brief, dumme Gans, und sowie ich mich mit ihm auf dem Feld der Ehre geschlagen habe, sind wir alle frei«, zischte mir Hugo auf Englisch ins Ohr.
»Hugo, Eure schmutzige Phantasie geht mit Euch durch. Das gehört sich nicht. Und mehr noch, er hat ganz eindeutig vor, Euch zu töten. Keiner von uns soll hier lebend herauskommen – und wenn er nicht bei dem hohen Gesandten da Eindruck machen wollte, er wäre es um einiges direkter angegangen. Seht Ihr denn nicht, wie riesig er ist? Der macht Hackfleisch aus Euch.«
»Pa, das habt Ihr wieder einmal in die falsche Kehle gekriegt. Er ist ein Ritter und an ritterliche Regeln gebunden. Außerdem ist er älter als ich und völlig verfettet. Große Männer sind immer unbeholfen – der fällt um wie ein von Pionieren angegrabener Turm. Aber wie, glaubt Ihr, soll er den Geleitbrief noch unterzeichnen, wenn ich ihn besiegt habe? Was ist Euch lieber? Gilbert, der Hahnrei, oder Gilbert, der Leichnam? Außerdem wird es Euch gefallen. Tut es doch den meisten Frauen. Nun sagt schon ja, bigotte kleine Närrin.« Oh, was konnte mich dieser Hugo aufbringen. Dumm wie Bohnenstroh und hilfreich wie ein gesprungener Krug. Wer würde mir helfen? Ich muß ihn hinhalten. Mir wird schon etwas einfallen. Vielleicht kann ich ihn überlisten oder um Erbarmen flehen. Und so wandte ich mich an den Grafen.
»Als erstes möchte ich diesen Geleitbrief sehen. Erst dann stimme ich einer Unterredung zu. «Ich blickte ihm ins aufgedunsene Gesicht, doch hinter die Fassade des Wüstlings vermochte ich nicht zu schauen.
»Nicht übel, nicht übel. Schade, daß sie kein Mann ist. Sie würde einen guten Diplomaten abgeben«, hörte ich den Gesandten zu einem seiner Reisegefährten sagen.
»Aber natürlich doch. Ich lasse ihn hier schreiben. Und Ihr
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