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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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spielen.«
    »Aux plus points? Wie Ihr wünscht, Madame. Nur einen Wurf?«
    »Einverstanden«, sagte ich. Bei mir dachte ich, es ist weniger gefährlich, wenn ich die Würfel nur einmal vertauschen muß.
    »Und wir treffen vor diesen hohen Herrn die Vereinbarung, daß der höchste Wurf gewinnt?« Sein Lächeln war eindeutig höllisch.
    »Ja.«
    Er nahm die Würfel, spielte angelegentlich damit herum, dann schüttelte er sie in der hohlen Hand und ließ sie auf das Würfelbrett rollen, das zwischen uns auf dem Tisch lag.
    »Achtzehn«, sagte er, als sie ausgerollt waren. Ich spürte die Hitze, welche die Leiber rings um uns ausstrahlten. »Das könnt Ihr nicht übertreffen, Madame.«
    »Wenn es Gott gefällt, so kann ich gleichziehen.« Er griff mit einer schwungvollen Geste nach den Würfeln und reichte sie mir. Mein Herz hämmerte, wollte mir schier aus dem sterblichen Leib springen. Ruhig Blut, Margaret, ruhig, dachte ich bei mir. Ich beugte den Kopf über die Würfel, als wollte ich beten, und vertauschte sie mit meinen eigenen, so wie Master Kendalls Schatten es mich gelehrt hatte und wie es die Geldwechsler tun. Ich warf die Würfel und sah zu, wie sie über das Brett kollerten. Die eng gedrängten Zuschauer atmeten einhellig auf.
    »Gleichstand«, sagte ich. »Was jetzt, Monsieur?«
    »Noch ein Spiel. Einverstanden?« fragte er die Gesellschaft.
    »Ja, ja, weiter«, wurde rings um den Tisch gemurmelt. Ich merkte, wie Gesichter sich näherschoben und mir fremde Menschen in den Nacken atmeten. Dann streckte er die Hand aus und nahm mir meine Würfel weg. O Gott, was nun? Ich war wohl doch nicht zur Falschspielerin berufen. Vorher hatte alles so einfach ausgesehen – das war jähling anders geworden! Ich spürte, wie mir der Schweiß in Bächen den Hals und Rücken hinunterlief. Ich beobachtete seine Hände. Wieder fuchtelte er angelegentlich damit herum. Warte – war da nicht etwas? Das waren doch meine Würfel, die da in seinem Ärmel verschwanden. Das war am Winkel seines Armes zu erkennen. Er hatte sie gegen seine eigenen ausgetauscht! Wenn er wieder die gleiche Punktzahl wirft, dachte ich, dann weiß ich Bescheid. Sie klapperten beim Fallen: sechs und noch einmal sechs. Der dritte schien Kante zu sein, doch dann legte auch er sich richtig hin. Eine vier.
    »Sechzehn«, sagte die Menge aufseufzend. Und ehe er sie nehmen und so tun konnte, als würde er sie mir reichen, während er sie gegen die seinen austauschte – besser gesagt, die meinen – legte ich die Hand darauf.
    »Ich bin an der Reihe«, sagte ich, schnappte sie mir und warf rasch. Als sie rollten, schien sich das Tuch zu bewegen.
    »Ebenfalls sechzehn«, sagte ich, derweil er im Gesicht rot anlief.
    »Noch eine Runde, alles auf einen Wurf.« Sein Gesicht war vor Wut ganz aufgedunsen, doch als er nach Zustimmung heischend in die Runde blickte, nahm ich seine falschen Würfel und ließ statt dessen den ersten Satz aus meinem Ärmel gleiten.
    »Eure Würfel, Monsieur.« Ich reichte sie ihm. Unterdes war ich so verängstigt, daß ich nicht mehr wußte, ob es nun ein guter Satz oder ein schlechter war. Aber eines wußte ich, der Satz, den ich ihm gerade abgenommen hatte, mußte falsch sein, die Punktzahl war einfach zu hoch.
    »Rührt sie nicht an. Ich nehme sie mir selber«, fauchte er.
    Argwöhnte er etwas? Ich riß die Augen weit auf und bemühte mich, wie das Abbild gekränkter Unschuld auszusehen. »Lehnt Euch nicht gegen den Tisch. Ihr ruckelt an dem Brett.« Er wirkte wie vor den Kopf geschlagen. Dann blickte er mich mit schmal gewordenen Augen an und nahm die Würfel. Dieses Mal bekam ich nicht mit, ob er sie nun mit dem versteckten Satz vertauschte oder mit denen warf, die ich ihm gegeben hatte. Der Wurf machte einen Halbkreis, der erste Würfel lag still – eine Sechs. Einen Augenblick rollte der nächste dicht an der Kante aus, die Menge seufzte auf. Eine Zwei. Und dann eine Drei.
    Ich holte mir die Würfel vom Brett. »Gott steh mir bei«, sagte ich und bekreuzigte mich. Dann wischte ich mir die schweißbedeckte Stirn mit dem Ärmel und vertauschte die Würfel erneut. Noch nie im Leben hatte ich solch eine Fingerfertigkeit entwickelt. Wer meine Stickereien kennt, würde sich wundern, wie ich das überhaupt fertigbrachte. Zuweilen scheint mir, daß wir nur in Todesangst zu Höchstform auflaufen. Dieser Satz muß ihm gehören, dachte ich, und wenn, dann spielt er falsch, dann gewinne ich, und wenn er ehrlich spielt, dann –
    »Achtzehn!«

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