Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
dargestellt sein müßte, und dergleichen habe ich nirgendwo erblickt.«
    Selbst die blöden Helfer ließen sich von dem Streit fesseln und beugten sich vor, um den Prozeß zu prüfen. Bruder Malachi hörte auf zu rühren, schob den hohen Schemel neben dem Alembik an die Wand und setzte sich. Er lehnte den Rücken an die kühlen Steine und seufzte, hob den Arm und wischte sich den Schweiß mit der Armbeuge von der Stirn, ließ aber sein kostbares Beutelchen keinen Augenblick los. Seine behandschuhte Hand umklammerte immer noch den Stab, der auf seinen Knien ruhte.
    »Also«, fuhr die giftige Stimme Messer Guglielmos dazwischen, »ohne das Fixativ kommt Ihr nicht weiter. Das müßt Ihr zubereitet zur Hand haben, frisch, sonst verdirbt Euch der Prozeß.«
    »Euer Fixativ verwende ich nicht. Das ist nicht erforderlich. Es ist böse. Die Kraft aber, die das Universum erschaffen hat und es umwandelt, ist gut. Das Rote Pulver wirkt sonst nicht – und außerdem –«
    »Schon wieder Ausflüchte. Feige Ausflüchte, das gehört sich nicht für einen Wissenschaftler. Jetzt könnt ihr Euch nicht mehr herauswinden. Ihr überbewerteter Möchtegern-Alchimist. Eure Art von Geschwafel könnte vielleicht einen Laien hinters Licht führen, doch dieses Mal habt Ihr es mit einem Fachmann zu tun. Hört Ihr?« Messer Guglielmo ging unruhig auf und ab, und seine Stimme stieg zu einem rauhen Gekreisch an. Bruder Malachi lehnte mit glasigen Augen an der Wand, und sein Atem kam in zittrigen Stößen.
    »Nicht zu fassen, daß Ihr soweit gekommen seid, ohne den Wagemut zu besitzen, den der wahre Forscher braucht – ohne die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Ich bin es, der das Geheimnis der Geheimnisse fast ergründet hat. Ich habe Euch nicht gebraucht. Aber nein, der berühmte Theophilus, oder jemand, der sich für ihn ausgibt, dem fällt alles in den Schoß.« Er riß sich beim Auf- und Abgehen mit einer fahrigen Bewegung Haare aus dem Bart.
    »Heute abend seid Ihr dran, Theophilus, und Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie ich darauf brenne, Euch scheitern zu sehen. Ihr reizt mich! Ihr reizt mich! Ihr erbost mich. Gescheitert, Theophilus, gescheitert! Und wenn Asmodeus mir zum Sieg verholfen hat, dann habe ich das Vergnügen, Euch langsam, langsam sterben zu sehen –« Er fuhr zusammen und blickte auf. Fray Joaquin, der geräuschlos eingetreten war, stand schattengleich vor ihm.
    »Gescheitert? Ist er gescheitert?« fragte der Dominikaner mit dem Anflug eines grausigen Lächelns.
    »Der Prozeß verändert sich gerade. Als nächstes kommt Schwefel dazu, wenn nämlich die Hitze am größten ist. Und wenn er darauf die Farbe wechselt, muß das Rote Pulver beigemischt werden. Aber ich habe keinen Vollmond, also wird es sich nicht so vervielfachen wie gemeinhin üblich –« erklärte Bruder Malachi matt.
    »Hört Ihr, wie er jetzt schon Ausflüchte macht. Er versucht, sein Fell im voraus zu retten. Habe ich Euch nicht gesagt, daß ich seinesgleichen kenne.«
    »Ihr sollt Asmodeus beschwören«, sagte der Mönch im schwarzen Habit.
    »Meinen Asmodeus beschwören, damit er diesem Narren aus der Patsche hilft? Damit sich dieser Laie dann mit meinem Erfolg brüsten kann? Nach allem, was ich durchgemacht habe? Wenn ich das Risiko auf mich nehme, Asmodeus zu beschwören, dann nur zu meinem eigenen Triumph.«
    »Ihr steht unter Befehl.«
    »Ich habe keine Opfergabe. Der Graf hat sie noch nicht nach unten geschickt. Außerdem brauche ich Zeit, um den magischen Kreis anzulegen. Dieses Mal können wir uns keinen Fehler leisten.« Bei dem Gedanken an den dräuenden Dämon, wie er mit mächtigen Schwingen gegen die zerbrechliche Barriere schlug, erbleichte sogar der giftige Messer Guglielmo ein wenig.
    Bruder Malachi neigte den Kopf und bekreuzigte sich. Seine Lippen bewegten sich in stummem Gebet. Der Rührstab lag auf seinen Knien.
    »An die Arbeit, legt den Kreis an, Ihr Einfaltspinsel!« Fray Joaquin holte sich einen großen Schöpflöffel von dem breiten Holztisch in der Ecke und schlug ihn dem unseligen Messer Guglielmo um die Ohren. Der warf die Hände hoch, wollte seinen Kopf schützen, zog sich in die Ecke zurück und kauerte dort, bis sich das Gewitter verzogen hatte. »Aber – das Opfer?«
    »Ihr wißt sehr wohl, daß nicht ich dieses bringe. Das will er immer selbst tun. Heute abend dürfte es etwas später werden. Ihr sollt den Prozeß hinhalten, bis er die Leiche der Frau nach unten bringt.«
    »Frau? Ich dachte, er hätte noch ein

Weitere Kostenlose Bücher