Die Vision
Spiele der Edelleute zu erlernen. Und welche Frau konnte schon einen Mann schlagen?
»Ganz und gar fair, wenn auch recht unüblich.« Der Gesandte betrachtete Cis' rosigen Busen erneut und lächelte etwas wehmütig, und in seiner Stimme schwang Bedauern mit. »Ihr habt keinen Beweis, daß der Mann hier sein Bruder und nicht ohnedies ein Betrüger ist. Einen Gemeinen braucht Ihr nicht freizugeben. Und die Frau – bezaubernd –«
»Schwört Ihr darauf?« fragte Sir Hugo sehr langsam, denn er brauchte Zeit zum Nachdenken.
»Ich schwöre«, sagte der Graf und legte die Hand aufs Herz. »Holt die Reliquien.« Hugo fing an zu schwitzen.
»Angenommen, ich stimme nicht zu.«
»Nicht zustimmen? Zu etwas, das ganz und gar fair ist, in meinem eigenen Haus? Damit beleidigt Ihr mich. Ich sehe es nicht gern, daß man mich beleidigt. Wer weiß, wozu ich fähig wäre?« Und dann legte er lässig die Hand auf die Reliquie und schwor. Er lächelte bei dem Anblick, wie Hugo der Schweiß am Hals hinunterrann.
»Möge die liebliche Margaret nun vortreten und ihr Spiel wählen.«
»Ja«, rief ich laut und löste mich aus der Gruppe der Pilger im Winkel des Palas. Die Angst beflügelte meinen Geist; ich hatte etwas auf dem Tisch gesehen, das mir Mut machte, Würfel nämlich: Mehrere Sätze aus Ebenholz und Elfenbein. Die aus Elfenbein sahen genau wie meine aus. Und so steckte ich mir die Würfel aus meiner Pilgertasche in den Ärmel und trat beherzt vor die großen Herrn. Sir Hugo fiel die Kinnlade herunter, und er starrte mich an, als hätte er einen Geist gesehen. »Margaret«, flüsterte er.
»Was ist das?« fragte der Graf und wölbte die Brauen. »Noch mehr Margarets? Welche seid Ihr?« Der Dominikaner neben ihm wirkte eigentümlich erleichtert, warum, das ahnte ich nicht.
»Ich bin Margaret de Vilers, Ehefrau von Gilbert de Vilers, und gekommen, Euch beim Wort zu nehmen.« Ein Murmeln ging durch die Gesellschaft im Rittersaal. »Entzückend. Was für ein Spaß. Ist das ein Spiel? Vielleicht hat er alles im voraus geplant. Wie originell.«
»Ach, wirklich? Er hat gesagt, Ihr würdet Euch sehr ähnlich sein. Wem soll ich nun glauben?« Vermutlich sah ich nicht so prächtig wie Cis aus, so ganz in Schwarz und mit meinem braunen Pilgermantel und meinem breiten Pilgerhut auf dem Rücken. »Angenommen, ich will die andere Margaret?« fuhr er mit seiner ausdruckslosen, drohenden Stimme fort. Ich konnte sehen, wie der Gesandte des Grafen von Foix verärgert die Lippen schürzte.
»Sie ist keinesfalls die wahre Margaret, und sie ist mit niemandem verheiratet, ganz zu schweigen mit Gilbert de Vilers. Wenn sie spielt, verstoßt Ihr gegen Euren Eid. So geht es nicht.« Der Gesandte war es wieder zufrieden.
»Falls Ihr wirklich die wahre Margaret seid.«
»Das bin ich, und ich kann es beweisen. Jener Brief. Wenn er ihm tatsächlich gehört hat, so kann ich Euch sagen, was darin steht. Und das Siegel. Es ist seines. Es stammt von diesem Ring, den er mir als Ehering gegeben hat.« Ich hielt die Hand hoch.
»Und wer, Sir Hugo, ist das nun?«
»Margaret de Vilers, die Frau meines Bruders«, sagte er matt.
»Die, welche zu krank zum Reisen war?«
»Ich bin genesen«, sagte ich, »und jetzt laßt mich das Spiel wählen.«
»Also Schach, kleine Margaret, die nicht richtig schreiben kann?« Noch nie hatte eine nette Bemerkung so drohend geklungen.
»Für Schach bin ich zu dumm. Ich will würfeln. Gott wird mir dabei die Hand führen.« Kaum zu glauben, daß ich früher nicht so hätte lügen können. Aber wenn Gott nicht wollte, daß ich gewann, er hätte mir wohl kaum die falschen Würfel zugespielt, oder?
Der Sieur d'Aigremont grinste eigenartig siegesgewiß. »Welche?« fragte er.
»Die da«, sagte ich und zeigte auf ein Trio, das meinem aufs Haar glich. Er schob die anderen beiseite, und man brachte einen Sitz an den Tisch, so daß ich ihm genau gegenüber sitzen konnte. Ich nahm Platz, und da hörte ich, wie das bedrohliche Summen des Brennenden Kreuzes immer lauter wurde und beinahe schon wie ein verzweifeltes Wimmern klang.
»Was ist das für ein Geräusch?« fragte er.
»Wohl eine Fliege«, erwiderte ich. Ich spürte, wie Leiber sich näherschoben und sich alles bemühte, einen Blick auf das seltsame Spiel zu erhaschen.
»Welches Spiel wünscht Ihr? Hasard?«
»Ich – Hasard kann ich nicht. Ich habe noch nie gewürfelt.« Ein eigentümlicher Seufzer stieg aus der Menge auf. »Laßt uns einfach um die höchste Zahl
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