Die Vision
»Interessant, nicht wahr?« fuhr Malachi heiter fort. »Ihr sucht in Avignon Vergebung und ich Aufklärung. Das heißt, wir sollten einen Bogen um den haarigen Burschen im Stall machen; ich habe nämlich mitbekommen, daß er uns auf dem Weg nach Toulouse auflauern und uns ausrauben will.«
»Toulouse? Aber wir wollen doch gar nicht nach Toulouse«, sagt Hugo.
»Genau«, erwiderte Malachi. »Aber irgendwie stehen sie dank des losen Mundwerks eines gewissen flämischen Wollhändlers unter dem Eindruck, daß wir dorthin ziehen. Ich schlage vor, wenn das Wetter umschlägt, brechen wir in aller Herrgottsfrühe auf.« Hugo warf Bruder Malachi einen Blick zu, dann grinste er.
»So sei es, alter Fuchs«, antwortete er, wünschte jedermann eine gute Nacht und verzog sich mit besserer Laune ins Bett.
Und so machten wir uns heiterer gestimmt auf den Weg durch die winterlichen Hügel von Foix, wo uns ein herzliches Willkomm gewiß war, da wir von Graf Gastons Gesandtem ein Empfehlungsschreiben hatten.
Es ergab sich jedoch, daß wir den Brief so gut wie gar nicht brauchten, denn der Botschafter des Grafen, der Sieur de Soule, hatte nur so lange in St. Médard verweilt, daß er dem Bischof den Ring küssen konnte, um dann mit seinem Gefolge in Windeseile abzureisen. Er gehörte zu den Leuten, die sich die Inquisition vom Leib hielten, zudem hatte er seinem Herrn dringende Botschaften zu übermitteln. Zum einen war sein alter Rivale und Feind unverhofft gestorben, und zum anderen hatte er an seiner Flanke jetzt statt eines mächtigen Kriegsherrn einen minderjährigen Knaben und eine heiratsfähige Wittib – und das bringt immer Bewegung in die Politik. Darum hatten wir beim Näherkommen schnelle Reiter aus der Stadt in Richtung Osten verschwinden sehen – Boten, wie es sich herausstellte, welche in die slawischen Länder geschickt wurden, um dem Grafen von Foix und dem Captal de Buch über die Vorgänge in St. Médard-les-Rochers zu berichten.
So weilte zwar Gaston Phoebus, der wegen seiner Schönheit, Großzügigkeit und Feurigkeit berühmte junge Graf, nicht daheim, doch sein Konnetabel empfing uns ungemein fürstlich. Aber nicht nur der Botschafter war uns vorausgeeilt, sondern auch der Skandal um das Würfelspiel, und bereits ein Bruchteil der Geschichte hatte uns zu Sehenswürdigkeiten erster Güte gemacht. So war es nicht zu umgehen, daß ich beim Abendessen zur Rechten des Konnetabel sitzen und mich mit schamrotem Gesicht über die ganze Geschichte ausquetschen lassen mußte. Ich antwortete auf die Fragen zu dieser schändlichen Sache so einsilbig wie möglich. Doch durch Schmeicheleien und Wein schaffte er es, mehr aus mir herauszulocken, als ich eigentlich erzählen wollte, und schon bald ging an allen Tischen das Gerücht um, daß der alte Feind des Grafen von Foix an einer versehentlichen Überdosis Liebestrank für Hunde gestorben sei. Darüber lächelte der Konnetabel in der Tat höchst seltsam und verkündete, daß Gott auf der Seite der Tugendhaften sei, und Hugo spendete ihm mit rotem, weintrunkenen Gesicht laut Beifall. Ich hätte mich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Ich muß schon sagen, Gregory, der hatte es wirklich leicht bei diesem Besuch, der lag ganz vergraben unter einem großen Federbett oben, wurde umsorgt und von vorn bis hinten hofiert. Sogar einen Harfenisten schickte man ihm hoch, daß er ihm aufspiele, und seine Gesichtsfarbe wurde allmählich gesünder, obwohl er immer noch zu schwach zum Aufsitzen war.
Während meine Angst um Gregory nachließ, kamen andere Ängste hoch. Zum einen ging die Weiße Dame um, schnüffelte durchs Haus, machte, daß die Hunde heulten und die Menschen eine Gänsehaut bekamen. Und da sie sich gern über die Haushaltsführung anderer ausließ, stand zu fürchten, daß jemand meine nächtlichen Unterhaltungen mit ihr mitbekam. Aber Schweigen wäre unhöflich gewesen, wenn ich bedachte, was sie für mich getan hatte. Und da sie den Großteil ihrer chronischen Wut an dem Grafen ausgelassen hatte, war sie jetzt nur noch eine heiter-boshafte Klatschbase.
»Madame Belle-mere, gestattet mir, Euch darauf aufmerksam zu machen, daß Ihr die Pferde nicht noch einmal erschrecken dürft, sonst holen sie einen Exorzisten.«
»Einen Exorzisten?« schnaubte sie dann wohl. »Pu! Ich pfeife auf Exorzisten. Schließlich habe ich das Wasser überquert –« Natürlich würde sie mir nie erzählen, wie. »Wenn Ihr nicht dahinterkommt, wo Ihr selber Mutter seid, ich verrate
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