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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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abgewetzt und blank wie ein Kinderpopo war, aber immer noch eine gewisse, verblichene Eleganz ausstrahlte. Ich hatte das Brennende Kreuz ausgewickelt, als das Summen aufgehört hatte, und so glänzte es jetzt gar prächtig auf dem schönen Untergrund. Sie fand die Wirkung ansprechend, schien jedoch entgeistert, als ich eine anständige, französische, hohe Haube ausschlug. ›Was? Keine burgundische Haube?‹ rief sie. ›Genauso gut könntet Ihr nackt herumlaufen.‹ Aber ich überzeugte sie, daß ich als Engländerin nicht an einen so hohen Kopfputz gewöhnt war und Kopf und Kragen riskieren würde, wenn ich mich hoch zu Roß damit in einem herunterhängenden Zweig verfing. Wir schieden in aller Freundschaft, wenn auch ein wenig hastig, zuvor aber schworen wir allesamt auf ihr Evangeliar, Stillschweigen zu bewahren.
    Und schon sehr bald hatten wir das Nebentor hinter uns gelassen, um auf einem Schleichweg durch die Berge auf die Hauptstraße zu stoßen. Ich ritt auf einer kleinen, graubraunen Stute mit unebener Gangart, Bruder Malachi auf einem langgliedrigen Fuchs mit Mutter Hilde auf der Kruppe hinter sich. Die Tragesänfte hing zwischen zwei Pferden, die von Sir Hugos Männern geritten wurden, und Sim hockte hinter letzterem der beiden. Sir Hugo war gar prächtig anzusehen in seiner frisch gesäuberten Rüstung, und sein Fähnlein flatterte an seiner Lanzenspitze. Neben ihm ritt Robert, sein Knappe, mit seinem Schild, Helm und dem großen Schwert. Hugo mochte es, wenn alles seine Richtigkeit hatte, und hielt nichts davon, sich in Verkleidung über die Hintertreppe davonzustehlen. Am Ende des Trupps kamen Hugos Packesel. Gewißlich zogen wir eleganter von dannen, als wir gekommen waren. Einer jedoch fehlte im Brokesford-Trupp. Cis, die falsche Lady Margaret, hatte sich geweigert, die Gemächer des Gesandten zu verlassen, die Tür blieb fest verriegelt, derweil Hugo von außen darauf einhämmerte und sie auf Englisch beschimpfte.
    »Haltet den Mund«, sagte ich, als er kam, um sich um Gregorys Transport zu kümmern. Er fluchte und drohte, sie zu holen, koste es, was es wolle.
    »Verdammt, sie ist eine Leibeigene; sie ist meine Wäscherin, die kleine Schlampe. Und so eine gibt sich als adlig aus.«
    »Wer hat denn damit angefangen? Seht es einmal von dieser Seite, Hugo. Sie hat sich Euch entzogen. So wie die in der Welt ihren Weg macht, kann sie es eines Tages zur Mätresse eines Königs bringen. Vielleicht kommt einmal der Tag, da seid Ihr dankbar, daß Ihr sie kennt und könnt sie bitten, daß sie sich für Euch verwendet. Laßt sie in Ruhe; sie geht ihren Weg. Und das sollten wir auch tun, und obendrein schnell.«
    »Macht es Euch denn gar nichts aus, daß sie Euren Namen benutzt, alberne, kleine Gans?«
    Ich biß mir auf die Zunge, damit ich ihm nicht sagte, was ich von ihm hielt, und meinte: »Das stört mich nicht im mindesten. Ich wünsche ihr alles Gute damit.«
    Und so hatte Sir Hugo knurrend und wutentbrannt seine Vorkehrungen getroffen, und wir waren aufgebrochen und hatten Cis einem Leben überlassen, das sie sich erwählt hatte. Aber ich machte mir keine Sorgen um sie, die nun ganz allein in der Fremde war und kein Wort der Landessprache verstand.
    Hoch in den Bergen schlängelte sich der Pfad, den unser Führer eingeschlagen hatte über ein Vorgebirge und gab den Blick auf das ganze Tal unter uns frei. Als er wie wild anfing, Zeichen zu machen, stiegen wir ab – und brachten die Pferde außer Sichtweite.
    »Da«, flüsterte Bruder Malachi und zeigte auf die Straße unter uns, die zum Burgtor führte. »Keinen Augenblick zu früh.« Auf der Straße ritt ein bewaffneter Trupp mit flatternden Fahnen, an der Spitze ein gedrungen aussehender Mann in voller Rüstung, seine Sturmhaube glänzte in der Sonne, und an seinem Sattelknopf hing ein Streitkolben. Neben ihm ritt sein Knappe mit seinem Schild und dem großen Helm. Nur das bischöfliche Wappen unterschied ihn von einem großen, weltlichen Herrn. Hinter ihm trabte eine Schar bewaffneter Ritter aus dem Bistum, sie eskortierten eine Gesellschaft gut berittener Priester und schwer beladener Packesel. Wir sahen, wie die Inquisitoren am Ende der hochgezogenen Zugbrücke anhielten.
    »Hmm. Ein hartgesottener Bursche«, sagte Bruder Malachi. »Der soll die Messe lesen, während sein Helm auf dem Altar liegt. Bin ich froh, daß wir dem nichts erklären müssen. Irgendwie sieht er aus, als wäre mit ihm nicht gut Kirschen essen.«
    Die Brücke wurde

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