Die Vision
es Euch nicht«, sagte sie und wehte davon, um die Juwelen der Gräfin zu inspizieren und die Gesellschafterinnen zu erschrecken.
Außerdem fürchtete ich, Hugo würde wegen Cis einen heillosen Streit vom Zaun brechen, doch dem war der Sieur de Soule dadurch zuvorgekommen, daß er am Tag nach unserer Ankunft mit einer großen Kavalkade aufgebrochen war. Die einen munkelten, er hätte im Namen seines Herrn Geschäfte mit dem Papst, und diese Geschäfte sollten wiederum etwas mit der Kirche und dem Feldzug gegen die heidnischen Slawen zu tun haben, andere munkelten, daß er sich um seine vernachlässigten Ländereien im Süden kümmern müßte. Ich habe keine Ahnung, was es nun tatsächlich war.
Aber Hugo kam doch noch zu seinem Auftritt, denn er wurde seines Lebens nicht froh, wenn er nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand. Dieses Mal ging es um seine Unbeschreibliche Sünde, wie er es nannte, und damit zog er die volle Aufmerksamkeit aller auf sich – Sünden, die er hätte beschreiben können, hätten ihm weitaus weniger Interesse eingetragen. Ritter, die es stets nach neuen Skandalen gelüstete, nahmen ihn auf die Seite, und ich hörte ihn sagen: »Niemals – sie ist zu gräßlich. Sie ist unbeschreiblich. Damit möchte ich Euch nicht belasten.« Und dann schieden sie kopfschüttelnd, und jeder lachte sich ins Fäustchen, weil er selbst noch nicht so unbeschreiblich gesündigt hatte.
Jeden Tag kam Hugo mit einem neuen Plan an – beispielsweise barfuß nach Avignon zu gehen –, und dann schlug er sich an die Brust und vergoß Tränen und warf sich vor aller Augen bäuchlings vor den Altar in der Kapelle und blieb solange dort liegen, bis auch der Allerletzte ihn für einen Ausbund heiliger Bußfertigkeit halten mußte.
»Sagt mir«, schmeichelte er dann wohl diesem oder jene m Priester, »sollte ich dafür Sorge tragen, daß man mich auf dem ganzen Weg nach Avignon geißelt? Oder wäre eine Prozession singender Mönche besser? Sollte ich im Unterhemd durch das Stadttor einziehen? – Oh, jetzt weiß ich. Ja. Graue Mönche wären wohl am besten – oh, nein, die Sünde aber auch, wie sie mich befleckt! Der Fluch, der gräßliche Fluch!« Und es schadete ihm natürlich nicht, daß in der Regel irgendeine rührselige Demoiselle zugegen war. Die tröstete ihn nur zu gern, trocknete seine Tränen und schenkte ihm geweihte Medaillons und andere Talismane für die Reise. Seine Bußfertigkeit machte, daß er tatsächlich dunkle Ringe unter den Augen bekam, denn da er die ganze Nacht von Bett zu Bett wanderte, kam er überhaupt nicht mehr zum Schlafen.
Doch am Ende konnten wir die Reise nicht länger hinausschieben. Ein kleiner Page, einer von Hugos bezahlten Spitzeln, tat ihm kund, daß ihn einige beleidigte Edelmänner am Hof schon bald auf Pilgerreise in die nächste Welt schicken würden, wenn er sich nicht auf den Weg nach Avignon machte. Gregory ging es unterdes so gut, daß er essen und in der Sänfte angelehnt sitzen konnte, obwohl das Fieber immer noch stieg und wieder fiel. Was uns jedoch am meisten freute, war die Kunde, daß der Bischof von Pamiers einen bis an die Zähne bewaffneten Trupp nach Avignon schickte und durchaus geneigt war, Pilger mitzunehmen. Vielleicht hätten wir gezögert, wenn wir geahnt hätten, daß es sich um einen Goldtransport handelte, und sie hätten gezögert, hätten sie geahnt, daß wir Engländer waren. Malachi jedoch vertrat unseren Fall in lateinischer Sprache, verdrehte die Augen gen Himmel und bekreuzigte sich vielmals, während er erläuterte, warum wir die heiligen Stätten in Avignon zur Erneuerung von Leib und Seele aufsuchen müßten. Doch der Hauptmann der Wachsoldaten gab den Ausschlag; der musterte nämlich unsere zusammengewürfelte Schar und meinte, falls wir von englischen Söldnern angegriffen würden, wäre es ganz gut, wenn jemand ihrer Sprache mächtig wäre, denn er könne diese Zunge nur mit Mühe von Hundegebell unterscheiden.
Auf diese Weise durchquerten wir das verwüstete Land gen Osten und folgten alsdann dem Ufer der Aude nach Norden, auf Carcassone zu. Dort wurden wir nicht sehr herzlich willkommen geheißen, denn der englische Prinz hatte erst kürzlich bei einem seiner Ausfälle aus Bordeaux die Unterstadt jenseits der Stadtmauer in Brand gesteckt. Doch im großen und ganzen reist es sich gut in geistlicher Gesellschaft, da sie in Klöstern gut aufgenommen wird, und in diesen ungewissen Zeitläuften konnte oft nur noch die
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