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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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widerwärtige Gesocks aus der Herberge nicht nachsetzen konnte.
    Doch in Tarbes hielt uns das schlechte Wetter drei Tage lang fest, und Hugo rannte wutschnaubend im Zimmer auf und ab, derweil Robert ihm die Rüstung säuberte und seinen Männern beim Würfelspiel und der Frauenjagd Gesellschaft leistete. Eines Abends, als ein eisiger Regen an die Fensterläden prasselte, suchte Hugo rein aus Langeweile Streit mit Malachi. Gegory saß angelehnt im Bett, war zu schwach zum Essen, trank jedoch in kleinen Schlucken heißen Wein aus dem Becher, den ich ihm an die Lippen hielt. Hilde und Malachi saßen am Kohlebecken und sahen sich im Schein der glühenden Holzkohle seine neuen Bücher an. Hilde konnte kein Wort lesen, und die Bücher waren ohnedies in Latein, aber Malachi erläuterte ihr die Bilder. Hildes gewitzte Bemerkungen bewiesen, wie gut sie alles Natürliche verstand. Sim spähte ihr über die Schulter und machte dabei einer riesigen Wurst ein Ende, die er irgendwo entwendet hatte.
    »Das da, Hilde, das ist die mystische Vermählung von Sol und Luna. Das erkennst du an den Kronen; es bedeutet, man muß geschmolzenes Gold und Silber vermischen, um die Quintessenz herauszuziehen – Sim, wieviel Mal muß ich dir noch sagen, daß du kein Fett auf die Seiten tropfen lassen sollst? – während das hier –«
    Die Tür flog auf.
    »Wie kann ein Mann mit einem Fünkchen Verstand seine Zeit nur mit Bücherlesen vergeuden? Zu was sind die nutze? Das ganze Zeugs macht das Hirn eines mannhaften Kerls zu Moder und ihn zu einem verträumten Tagedieb.«
    Auf der Schwelle stand ein wutschnaubender Hugo, der Streit suchte.
    Gregory auf dem Bett schnaubte auch. Normalerweise hätte er mit einer Bank nach Hugo geworfen und damit die Langeweile eines Regentages in tausend Stückchen zerschmettert. Aber er war selbst zu schwach zum Kopfheben, so knurrte er nur drohend.
    »Das hier finde ich interessant«, bemerkte Malachi völlig ungerührt. »Es ist Graecus' De igniis .«
    »Das was? Irgend so ein Priestergeschwafel?«
    »Nein, ein Buch über Feuer und die verschiedenen Arten, es in Gang zu setzen. Hier beispielsweise ist eine Rezeptur für griechisches Feuer – recht nützlich, wenn man belagert wird und sich verteidigen muß.«
    Hugo kam näher. »Ei, was bedeutet denn das Bild da mit dem nackten Mann und der Frau?« kam er hochfahrend wie eh und je dazwischen. »Ist das ein Buch mit schmutzigen Geschichten? Denn wenn ja, so verlohnte sich ja das Bücherle –«
    »Es ist ein alchimistisches Buch.«
    »Alchimie mit schmutzigen Bildern, äh? Jetzt weiß ich auch, was die Kerle nachts warmhält. Schade, daß nichts über Goldmachen drinsteht. Also, wenn ich ein Buch hätte, dann eines mit lauter schmutzigen Bildern und ohne Geschwafel – sagt an, was tut der Drache dort? Und der Löwe ganz in Grün mit den glitzernden Schuppen?« Ich sah ihnen von meinem Platz auf dem Bett aus zu, und selbst auf diese Entfernung hin konnte ich einen weiteren Grünen Löwen auf der Seite in Malachis neuem Buch ausmachen. Doch der hier war dünner und an beiden Flanken mit Sternen besetzt. Aber es war das gleiche Geschöpf, und in seinem Maul trug es eine Sonne mit lächelnder Miene und Strahlen wie wedelnde Arme.
    »Der Grüne Drache und der Grüne Löwe besitzen die Kraft, die edelsten und unveränderlichsten Metalle umzuwandeln. Nach ihnen suche ich. Nur durch sie kann man das Rote Pulver gewinnen, was natürlich Ziel jedes Alchimisten ist.«
    »Und wo ist nun das Gold?«
    »Hier, in dem Buch«, und Malachi wies auf die goldene Sonne im Maul des Löwen, »und hier.« Er klopfte an seinen Kopf.
    »Dann habt Ihr es also? Das Geheimnis der Geheimnisse?«
    »Noch nicht ganz, aber sehr bald.« Hugo machte ein Gesicht wie immer, wenn ein betrunkener Gascogner ihm erzählt, daß er im Kampf ungeschlagen ist. Das sah Malachi und schniefte betrübt. »Ehe ich London verließ, war ich ganz nahe daran, das könnt Ihr mir glauben. Ich war schon fast beim Phönix, doch dabei sind mir ein paar ziemlich kostspielige Gläser zersprungen, darum konnte ich das Experiment nicht wiederholen. Aber ich hoffe, daß das, was ich aus diesem Buch erfahre, wenn es erst einmal übersetzt ist, es mir ermöglicht, meine lebenslange Suche zu beenden.« Er klappte das Buch zu und legte es in seine Umhüllung zurück, ohne auch nur einen Blick auf Hugos stures, dümmliches Gesicht zu werfen. Der Kerl hatte zuweilen soviel Einsicht wie die Rückseite einer Backsteinmauer.

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