Die Vision
schaffte es nicht, denn als das Tier merkte, daß der Griff an seinem Kopf sich lockerte, richtete es sich auf und hob den Leib halbwegs aus dem Wasser; dabei verlor Sir Hubert das Gleichgewicht und kam im eiskalten Wasser teilweise unter dem Schlachtroß zu liegen, und das gewaltige Tier drohte, ihn einzuklemmen und zu ersäufen.
»Sir, Sir!« schrie der Knecht, packte den alten Ritter bei den Schultern und versuchte, ihn hervorzuziehen und aus der Gefahrenzone zu schaffen. »Hilfe, Hilfe! Mein Herr ist eingeklemmt!« Zwei weitere Knechte, die zum Schauplatz gelaufen waren, platschten in den Bach, um ihren Herrn herauszuholen. Weiter weg waren dunkle Gestalten zu erkennen, die zum Bach rannten. Schweigend stand Cecily am Ufer, sie rührte sich nicht vom Fleck und starrte bänglich und fasziniert auf die Katastrophe, die sie heraufbeschworen hatte. Dann übertönte Gregorys donnernde Stimme den Aufruhr:
»Bringt ihn ans Ufer! Wickelt ihn in meinen Umhang!«
»Einwickeln, mich? Mich wickelst du in gar nichts ein, du dummer Junge!« schrie der alte Mann mit klappernden Zähnen.
»Um Himmels willen, Vater, trockne dich ab, du wirst sonst krank. Ich erlöse den Hengst.«
»Du willst ihn erlösen? DU? Den Spaß gönne ich dir nicht! Du Bücherwurm! Ich mache meine Drecksarbeit immer noch selber. Das ist das Pferd eines Ritters, und nur ein Ritter gibt ihm den Gnadenstoß!«
Unterdessen hatte sich Margaret hastig angezogen und kam barhäuptig mit wild flatternden Haaren gelaufen, um nach ihren Kindern zu sehen. Als sie den Bach erreichte, zog sie ein verdrecktes, schluchzendes, kleines Mädchen hinter sich her. Sie hatte nur Alisons hochrotes und wutentbranntes Gesicht gesehen und ihr Gekreisch gehört: »Ich bin nicht drangekommen! Cecily hat gemogelt!« da war ihr auf der Stelle klar, daß ihr Kind unversehrt und ganz war. Jetzt sah sie sich kurz ihre Älteste an, ehe sie die chaotische Szene am Bachufer betrachtete. Gut, es geht ihr nur zu gut, war Margarets Gedanke, als sie mit schmalen Augen und schlauem Blick die nachdenkliche, barfüßige, kleine Gestalt musterte, die das Ganze mit großen Augen in sich aufnahm. Das kleine Mädchen war starr vor Entzücken über die so unterschiedlichen Ereignisse, die es in Gang gesetzt hatte. Gregory und sein Vater stritten sich am Ufer, die Knechte standen wie angewurzelt, und mitten im Bach lag der Stolz von Brokesford zweieinhalb Fuß tief mit blutenden, bebenden Flanken im morastigen, strudelnden Wasser auf den scharfen Steinen des Baches. Margaret erfaßte mit einem Blick die rollenden, irren Augen des verschreckten Hengstes und watete ohne zu zögern in das eiskalte Wasser.
»Weg da, Margaret, er bringt dich um!« schrie Gregory und ließ vom Streit mit seinem Vater ab.
»Er hat sich verletzt«, rief Margaret, ohne stehenzubleiben.
»Natürlich hat er sich verletzt, du blödes Frauenzimmer. Dein Balg hat ihm das Bein gebrochen, und das kostet ihn das Leben«, brüllte Sir Hubert.
»Vielleicht doch nicht gebrochen –« Der Wind wehte Margarets Stimme davon. Jetzt hatte sie Urgans Kopf erreicht und sprach leise und zärtlich auf ihn ein, während sie nach seinem langen Maul faßte.
»Was zum Teufel versteht ausgerechnet Ihr von Pferden? Ich habe Euch reiten sehen – wie ein Bauer auf seinen Getreidesäcken, der seinen Klepper zum Markt führt. Weg da, laßt mich tun, was getan werden muß.« Der Sieur de Vilers hatte jetzt ein anderes Messer und watete damit zurück ins Wasser. Das Schlachtroß rollte nicht mehr mit den Augen, denn sie streichelte ihm den Kopf und sprach ruhig auf ihn ein. Doch die mächtigen, schwarzen Flanken bebten immer noch vor Entsetzen. Margaret arbeitete sich behutsam zu seiner riesigen Brust vor, dann verschwand ihre Hand im Wasser und tastete sich vorsichtig an den todbringenden Vorderbeinen entlang. »Komm, komm«, sagte sie sanft, während ihre Hand nach der Verletzung suchte. Ihre Lippen waren vor Kälte ganz blau. »Aha, da haben wir es ja. Beide Knochen«, sagte sie leise zu sich selbst. »Und eingeklemmt – da.«
Sie beugte sich vor, und ein Arm verschwand fast bis zur Schulter im Wasser. Das Pferd hatte sich nicht gerührt. Und sonst auch niemand vor Angst, das Pferd könnte erschrecken, ausschlagen und ihr den Schädel zertrümmern. Sogar der Sieur de Vilers stand wie angefroren mit dem Messer in der Hand, und das Wasser rauschte ihm um die Beine. Sie machte etwas unter Wasser, er konnte nicht ganz erkennen was, dann hob sie
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