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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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meinem Haus hinauszögern.« Sie blickte stumm zu Boden.
    »Vermutlich habt Ihr sie noch nie geschlagen. Das Problem weichherziger Frauen. Und keine war so weichherzig wie meine Selige beispielsweise. »Nicht den Kleinen schlagen‹ jammerte die ewig, ›wenn er nun daran stirbt?‹ ›Und wenn er am Leben bleibt, Madame, was dann? Wollt Ihr ein kleines Ungeheuer großziehen?‹ Und jedes Mal, wenn der Kleine krank wird, jaulen sie, es kommt davon, daß man ihn geschlagen hat. Und so, Frauenzimmer, erzieht man sich Rotznasen. Frauen, Kinder, Hunde und Obstbäume, die müssen allesamt regelmäßig geschlagen werden.« Er blickte sie grimmig an.
    »Meine Mädchen sind lieb.« Sie gab den Blick genauso grimmig zurück, und wieder sah er es in ihren Augen golden aufblitzen.
    »Die Anzeichen sprechen dagegen, Madame. Euren Kindern mangelt es an Disziplin.« Es war so still im Raum, daß er sie atmen hören konnte.
    »Es soll Kinder geben, die haben mit dem Leben dafür gezahlt, daß sie nicht auf die Erwachsenen gehört haben«, setzte er hinzu und sah, wie das Flackern erlosch.
    »Nicht zuviel.«
    »Fünf für die Große, drei für die Kleine.«
    »Sie hat nichts getan – sie ist ja noch so klein.« Derweil hatte man die Mädchen hereingebracht und sie vor dem alten Lord aufgebaut. Sie hörten alles mit an.
    »Madame, ich habe mit eigenen Augen gesehen, daß sie die Haferkumme hingehalten hat.«
    »Dann nicht so viele. Sie weiß nicht, was sie getan hat.«
    »Drei und einen. Und dabei bleibt es.« Alles in der Halle lauschte. So etwas war noch nie dagewesen. Hätte das Kind eines Leibeigenen dergleichen verbrochen, die Knechte hätten es im Hof zu Tode geprügelt. Selbst ein Sohn des Hauses hätte sehr viel mehr zu gegenwärtigen gehabt. Und da stand diese Frau, senkte keineswegs den Blick, sondern rang dem alten Lord ein milderes Urteil ab. Darüber würde man noch nach Jahren an den Herdfeuern der Dorfkaten reden.
    »Die Kleine soll sich vor mich stellen, und nun her mit der Reitpeitsche«, wies er die Knechte an. Margaret umklammerte ihren Sitz, daß die Knöchel weiß hervorstanden. Der alte Lord blickte Alison grimmig an. Sie hob die langen Wimpern und warf ihm aus blauen Augen einen unschuldsvollen, großäugigen Blick zu.
    »Weißt du, was du getan hast?«
    »Ich habe nichts getan. Das war Cecily.«
    »Du weißt also Bescheid. Dafür, daß du die Haferkumme hingehalten hast, einen Hieb. Dafür, daß du Cecily die Schuld zuschieben wolltest – Feigheit und Petzen – einen Hieb. Für Lügen, einen Hieb.« Sanfte Schläge waren es nicht, und sie ließen rote Striemen unter ihrem dicken Wollkleid zurück. Die Knechte waren im Palas zusammengelaufen, sie wollten mitbekommen, wie die Gerechtigkeit ihren Lauf nahm.
    »Das hier ist mein Haus. Hier wird nicht gelogen und gepetzt, und Feiglinge dulde ich auch nicht. Niemals«, sagte er zu dem heulenden Kind. »Jetzt die Große.« Cecily sah ganz und gar unbußfertig aus und schien sich zu freuen, wie man mit ihrer Schwester umgesprungen war. Genau das hatte sie schon lange verdient gehabt.
    »Es dauert mindestens noch sechs Jahre, bis wir deine Heirat absprechen können, und sie werden dir sehr lang vorkommen, wenn du nicht gehorchen lernst.« Er sah sie an, und sie gab den Blick trotzig zurück. Auf einmal schob er den schweren Kopf vor und warf ihr unter buschigen, weißen Augenbrauen einen finsteren Blick zu.
    »Warum?« fragte er.
    »Weil er der Beste ist. Und der Größte. Woher sollte ich wissen, daß er hinfällt.«
    »Du hast den besten Zuchthengst auf zwanzig Meilen in die Runde zum Krüppel gemacht.«
    »Tut mir leid.« Von wegen leid. Leid tat ihr nur, daß sie ihn nicht wieder reiten konnte. Es war einfach himmlisch gewesen. Für eine kurze Zeitspanne hatte sie sich als Herrscherin der ganzen Welt gefühlt. Das konnte ihr niemand mehr nehmen.
    »Die Gesetze dieses Hauses lauten – erstens – Mädchen reiten nicht auf Hengsten, nie und nimmer. Zweitens – niemand reitet ohne Erlaubnis auf irgend etwas. Drittens – niemand nimmt oder gebraucht etwas ohne Erlaubnis.« Bei diesen Worten teilte er die Schläge aus. Cecily vergoß keine einzige Träne, obschon sie ihr in die Augen stiegen und sie sich so fest auf die Lippen beißen mußte, daß sie bluteten.
    »Gott helfe dem Trottel, der dich heiratet«, sagte der alte Mann. Er gab einem seiner Knechte die Peitsche, daß er sie fortbrachte, dann betrachtete er Margaret, wie sie da saß. Ihr Gesicht war weiß

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