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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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könntest du nicht wenigstens einen Tag bleiben – einen halben Tag – nur eine Stunde – und später zu ihnen stoßen? Es wäre so schön hier mit dir allein, ohne sie.«
    »Also wirklich, Margaret, für eine Frau, die es besser wissen sollte, führst du dich zuweilen dumm auf. Der Karren sitzt im Dreck, und mit jedem Tag sinken wir tiefer ein. Auf das Gut haben wir Geld aufgenommen, damit wir die Anwälte bezahlen können, und wenn ich deine Ländereien nicht halten kann, dann ziehen sie uns eines Tages das Fell über die Ohren, und uns bleibt nichts als ein Haufen Schulden. Oder möchtest du hier ewig leben?«
    Stumm schüttelte ich den Kopf, und er fuhr fort: »Ich bin nämlich kein reicher Kaufmann wie Master Kendall, und es besteht keinerlei Hoffnung, daß wir das Haus in London, das dir so am Herzen liegt, halten können, außer es kommt von irgendwo Geld herein. Nur im Krieg kann ich soviel zusammenkratzen – oder wenn ich seine Herrenhäuser verpachte, falls wir sie der Familie erhalten können. Aber ich weiß, du hängst sehr an dem Haus, und so will ich es dir zuliebe versuchen. Wenn du wüßtest, was Vater von Stadthäusern hält. Noch weniger als von Männern, die ihr Erbe nicht festhalten können. Er hätte es schon ein Dutzend Mal verkauft, wenn ich nicht um jeden Fußbreit mit ihm gerungen hätte.«
    »Ach, wer hätte das gedacht. Master Kendall hatte mit seinen Ländereien nie solche Scherereien. Er hat sie einfach gekauft, und das war's. Ich hatte keine Ahnung, daß du damit solche Last hast.«
    Gregory saß auf der gegenüberliegenden Fensterbank. »Hu. Das ist aber eine kalte Stelle hier«, sagte er, stand rasch auf und setzte sich neben mich. »Ist dir das auch schon aufgefallen?« fügte er hinzu. »Sehr sonderbar. Mir ist es ganz kalt den Rücken hinuntergelaufen.« Wer hätte gedacht, daß das Kalte Ding immer noch herumlungerte? Doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, ihm davon zu erzählen, er hatte ohnedies genug Sorgen.
    »Margaret«, sagte er und nahm meine Hand. »Es tut mir leid, daß ich es nicht geschafft habe, dir ein so schönes Leben zu bieten wie Master Kendall. Aber der hatte Einfluß bei Hofe und der halben Welt, und zweifellos hat er dem Hof auch Geld geliehen. Aber der Graf denkt, daß deine Ländereien an eine kleine Familie ohne Einfluß gefallen sind und er uns unter Druck setzen und uns wegnehmen kann, was rechtens uns gehört. Du glaubst gar nicht, wie sehr sich Vater darüber erbost! Der Graf hat sogar Vaters Boten mit einem groben Brief zurückgeschickt und obendrein noch dessen Pferd behalten. Ich kann dir sagen, so aufgebracht habe ich Vater noch nie gesehen. Der gibt keine Ruhe, bis er wieder hat, was ihm gehört.«
    »Warum hat er mir das nicht gesagt, anstatt so unleidlich zu sein?«
    »Einer Frau etwas sagen? Das ist nicht seine Art. Der wird sogar noch wütend, wenn er herausfindet, daß ich es dir erzählt habe. ›Je mehr Frauen wissen, desto mehr machen sie einem das Leben zur Hölle‹, sagt er immer.«
    »Zur Hölle? Wann hätte ich ihm das Leben zur Hölle gemacht? Er macht mir das Leben zur Hölle. Er tobt herum, wirft mir Grobheiten an den Kopf und verprügelt meine Kinder! Wenn einer dem anderen das Leben zur Hölle macht, dann er!«
    »Margaret«, sagte Gregory bestimmt, »du solltest dankbar für alles sein, was Vater für dich getan hat.«
    »Dankbar? Ich habe vom ersten Augenblick an gewußt, daß er abscheulich ist!« Ich spürte, wie sich das Kalte Ding wieder rührte.
    »Wehe, du sagst etwas gegen meinen Vater!« Gregory stand jäh auf. »Nur weil ich ihn nicht ausstehen kann, darfst du noch lange nicht über ihn herziehen! Ohnedies ist das Ganze deine Schuld!«
    Allmählich wurde es mir zu bunt. Was hatte ich mir nicht alles gefallen lassen, was nicht alles getan, wie hatte ich gewartet, und dann dieses.
    »Meine Schuld? Meine Schuld? Jetzt ist es also meine Schuld, wie? Und warum ist es meine Schuld, mit Verlaub?« Ich sah, wie er fröstelte und den Platz wechselte – er hatte sich bewegt und war mitten in das Kalte Ding getreten.
    Er fuchtelte mit den Händen und sagte: »Hatte ich, mit Verlaub, vor unserer Heirat solche Scherereien? Blöde Landgüter! Blöde Häuser! Blöde Möbel! Meine Habe paßte in ein Bündel, und ich war frei ! Nichts am Hals, keinen Vater, keinen ewig neidischen Hugo, keine Anwälte, keine Bittschriften und Zeugenaussagen, keine Hausverwalter und Landvögte und keine Bälger! Das kann nur eine Frau einem Mann

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