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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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gewöhnen konnte«, lächelte er still. Mir taten die Rippen zwar immer noch weh, aber als ich seine Miene sah, ging es mir gleich besser.
    »Setz dich zu mir«, bat ich, »mir ist es ganz furchtbar ergangen. Ich brauche dich. Ich brauche dich, daß du meine Hand hältst.«
    »Weißt du, das Eheleben«, sagte er und ließ sich neben mir nieder, »dieses Eheleben ist schwieriger, als man gemeinhin denkt.«
    »So ist es immer«, sagte ich. »Wenn es nicht das Geld ist, dann die Familie oder tausenderlei andere Dinge.«
    »Darum heiraten vollkommen Liebende wohl auch nicht«, seufzte Gregory.
    »Glaubst du, man kann seine Ehefrau nicht lieben?«
    »Natürlich nicht; das gehört sich nicht.« Gregory sah überaus schulmeisterlich aus.
    »Gehört sich nicht?«
    »Das sagen alle gelehrten Autoritäten.«
    »Woher wollen die das wissen? Waren sie etwa verheiratet, deine Gelehrten?«
    »Natürlich nicht; für Gelehrte gehört es sich nicht zu heiraten.« Auf einmal sah Gregory betrübt aus; er konnte einem richtig leid tun. Ich legte ihm die Hand auf den Arm. Irgendwie war die rauhe Wolle seines Ärmels tröstlich, auch wenn es sich um den alten Jagdrock seines Vaters handelte und die Ärmel Gregory zu kurz waren. Er zuckte zusammen wie schon einmal, vor langer Zeit, als ich aus Versehen seine Hand berührt hatte. Doch dann blickte er mich an und war dankbar für den Trost.
    »Du bleibst doch ein Gelehrter, auch als Ehemann. Die Gelehrsamkeit ist immer noch in deinem Kopf – die verschwindet doch nicht einfach.«
    »Ach, Margaret, wenn es nur so einfach wäre. Man kann nicht verheiratet und gleichzeitig Gelehrter sein; das stiftet Verwirrung im Kopf.«
    »Dann tut es dir also doch leid, daß du mich geheiratet hast?«
    »Nein, ganz und gar nicht«, sagte er und sah mich dabei so sonderbar an. »Das macht mir ja so zu schaffen. Es tut mir überhaupt nicht leid. So etwas wie dich habe ich noch nie kennengelernt.« Mein Gott, wie schön sein Gesicht dabei aussah. Ich wartete, daß er sagte, was ich mir so sehnlichst wünschte.
    »Du – siehst so hübsch aus. Und man kann mit dir so gut reden. Und – und –« er sah aus, als ob er nach einem Wort suchte, das ihm auf der Zunge lag, und dann lief er rot an und stieß hervor, »– keine backt so leckere Wecken wie du!« Grundgütiger Himmel, wie können Männer nur behaupten, daß Frauen nichts als belangloses Zeug im Kopf haben, wenn ihrer so arbeitet wie der hier!
    »Wenn wir also keine vollkommen Liebenden sein können, dann vielleicht unvollkommen Liebende?« sagte ich lächelnd.
    »Offen gestanden, Margaret, Ähnliches ist mir auch schon durch den Kopf gegangen«, sagte er und vergewisserte sich, ob wir immer noch allein waren.
    »Die kommen so schnell nicht wieder, falls du denkst, was ich denke…«, sagte ich.
    »Ich glaube schon«, sagte er, und auf einmal strahlte sein Gesicht vor Freude, und er hob mich so rasch hoch, daß ich nicht einmal mehr Zeit hatte, überrascht zu sein.

    »Gilbert! … GILbert! Wo steckt dieses Mondkalb?« Das heisere Gebrüll schallte die Stiege hoch und störte die Stille im Söller. Ein lärmendes Knäuel von Hunden und Menschen tobte um Sir Hubert herum, als er durch die Tür polterte, am Himmelbett vorbei – und in sein eigenes Zimmer ging, damit die Knechte seinen verdreckten Jagdrock gegen Reisekleidung wechseln konnten.
    »Aha! Da bist du ja, Gilbert, treibst dich drinnen herum wie eine Frau – oder –« und hier bekam seine Miene etwas Wissendes, Verschwörerisches »etwa mit einer Frau?« Er merkte, daß sein Sohn zu Stein wurde. Gregory sah, wie sein Vater das ganze Zimmer mit schlauem Blick erfaßte; das vergessene Nähzeug auf der Fensterbank, das hastig gemachte Bett. Der alte Mann sah einen Augenblick aus, als rechnete er nach. Dann musterte er das Gesicht seines unbequemen Sohnes. Der wußte zwar seine zufriedene Miene gut zu verbergen, doch nicht gut genug für das geübte Auge seines Vaters.
    Sein Gesicht wirkte einen Augenblick lang gelöst, doch dann knurrte er: »Und wo steckt überhaupt deine Frau? Wozu ist eine Frau nutze, die nicht zu Stelle ist, wenn man sie braucht? Ich habe etwas mit ihr zu bereden.«
    Gregory richtete sich zu voller Größe auf, blickte seinen Vater von oben herab an und erwiderte würdevoll und unnahbar: »Falls du nach Margaret suchst, die ist in der Kapelle und betet. Das tut sie immer um diese Zeit.«
    »In der Kapelle? Schon wieder so ein weinendes, betendes Frauenzimmer im Haus? Pa, sie

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