Die Vision
Nieselwetter eines grauen Märznachmittages, als ich endlich einen Augenblick für mich allein hatte und auf der Fensterbank hinten im Söller Alisons Bruch ausbesserte. Die Wittib Sarah war mit den Mädchen in den Stall gegangen, um sich die neuen Kätzchen anzusehen, die Wäscherinnen waren gekommen und wieder gegangen und hatten zusammen einen schweren Korb voller Schmutzwäsche abgeschleppt, und Hugo und die Knappen und Knechte waren mit auf der Jagd, denn wenn Sir Hubert daheim war, verging kein Tag ohne Jagdausflug. Drinnen war es dunkel und feucht, und ich grübelte über den Unterschied zwischen einer Ehe des Herzens und einer des Fleisches nach. Wie der Regen trübselig auf die Steine pladderte, hörte er sich wie Tränen an. Meine eigenen, vielleicht, nur daß ich heimlich weinte.
Wer hätte an solch einem Tag wohl nicht an Master Kendall gedacht und wie er mich immer mit ein paar klugen und lustigen Bemerkungen abgelenkt hatte, wenn ich Trübsal blies. Wie mir diese hochherzige Seele fehlte und ebenso die Güte, die uns verband! Ach, wärst du doch hier, sagte ich bei mir. Als Antwort hörte ich ein leises Schnaufen, ein Atemholen gleichsam, und spürte einen kalten Luftzug im Nacken. Schon wieder das Kalte Ding. Langsam gewöhnte ich mich daran. Ich bekreuzigte mich, und da zog es irgendwie raschelnd an mir vorbei.
Als ich in Richtung des verwehenden Lautes blickte, zeichnete sich eine hochgewachsene Gestalt auf der Schwelle ab, und mein Herz machte einen Satz. Gregory! Doch mir wurde bang ums Herz, als ich seine Miene sah. Schon wieder schlechte Nachrichten.
»Gregory? Möchtest du dich zu mir setzen? Ich bekomme dich überhaupt nicht mehr zu Gesicht.«
»O Margaret«, sagte er, immer noch im Stehen. »Ich weiß gar nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht, daß du mich immer noch so nennst.« Er sah müde aus, aber sein Herz strahlte aus seinen Augen.
»Wäre dir Master de Vilers lieber? Das ist die richtige Anrede. Ich habe Master Kendall immer nur ›Master Kendall‹ genannt, so wie es sich für eine Ehefrau geziemt.«
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Jetzt würde ich liebend gern sagen, daß du immer noch das alte Dummerchen bist, aber ich weiß, du weißt, was ich meine.« Er kam näher. Ach, wenn er doch nur nicht so gut aussehen würde. Nicht nur, daß er eine so gute Figur machte, seitdem er das schäbige, graue Gewand, in dem er sich früher herumtrieb, abgelegt hatte. Nein, er ging auch so elegant, so geschmeidig und elastisch, ohne daß er sich dessen bewußt war. Und wie er alles in sich aufnahm und wie sein Gesicht vor Intelligenz strahlte und deutlich machte, daß er auch richtig hinsah und alles verstand, was vor sich ging. Manche Frauen bewundern am Mann die Kleidung, das Geschmeide oder daß er hübsche Komplimente zu machen weiß, aber davon habe ich nie viel gehalten. Das wird mit der Zeit alles langweilig, ein wunderbarer Verstand jedoch nie.
»Margaret«, sagte er und sah dabei aus, als könnte er meine Gedanken lesen, und seine Stimme klang auf einmal ein klein wenig anders. »Übermorgen müssen wir leider fort. Der Herzog hält Hof zu Kenilworth, und Vater muß ihn aufsuchen.«
»Den Herzog aufsuchen? Warum nur? Kannst du nicht einfach hierbleiben und die anderen allein reiten lassen?«
»Leider nicht, Margaret, es geht nämlich um deine Ländereien. Die Sache muß geregelt sein, ehe Vater ins Feld zieht, und das kann nur der Herzog. Irgendein Mönch hat einen Prozeß um das Herrenhaus von Thorpe angestrengt, er behauptet, der rechtmäßige Erbe zu sein, und daß es Master Kendall unrechtmäßig verkauft wurde. Er hat seinen Orden verlassen und will sich dort einnisten, und dein Hausverwalter hat ihn schon zweimal vertreiben müssen. Doch am schlimmsten steht es um Withill. Der Graf hatte kaum von Master Kendalls Tod gehört, da hat er noch am selben Tage dein Vieh fortgetrieben und versucht, deine Pacht einzutreiben. Als wir gerichtlich gegen ihn vorgegangen sind, haben seine Männer das Herrenhaus besetzt. Leider ist er nicht nur in der Gegend so mächtig, daß sich ihm niemand widersetzt, nein, er hat zudem den einheimischen Friedensrichter bestochen, daß er ihn dabei unterstützt. Du siehst also, nur der Herzog kann uns noch helfen, und dazu braucht man wahrscheinlich mehr als das Gesetz auf seiner Seite. Wir haben hier nicht genug Männer, um den Grafen auszuräuchern, selbst wenn wir den Richtern höhere Bestechungssummen als er anbieten.«
»Aber
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