Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
er nichts tut, als essen und trinken und tratschen. Es reicht schon, daß er der Schwiegermutter alle Mängel der Kindererziehung zuträgt. Doch zuweilen richtet er mehr Unheil an, und plötzlich ist die Küchenmagd schwanger, und dann hat man den Salat. Und er kann gemein werden, wenn man ihn reizt, und Kleinigkeiten kränken ihn, wie der falsche Platz bei Tisch, wenn man Gäste hat, und dann ist er zu Gott weiß was fähig.
    Also hatten wir in unserem Haus in London keine Kapelle, obwohl niemand verstand, wie wir ohne etwas auskommen konnten, das einem Haus soviel Pracht und Bequemlichkeit verlieh. Master Kendall hatte oftmals Gäste von fernen Orten zu Besuch, und mich hatte er auch noch, da wollte er nicht riskieren, daß uns eine lose Zunge die Beamten des Bischofs auf den Hals hetzte.
    Aber auf dem Lande, wo der Bischof fern ist, gibt es andere Mittel und Wege, da kann man eine Kapelle haben. Und die Mittel und Wege meines Schwiegervaters waren schlicht: Er hatte einen Priester aufgetrieben, der auch nicht eine Minute am Tag nüchtern war. Natürlich wußte niemand, ob er die Messe richtig las, doch wer weiß das schon, da alles Latein ist. Aber man konnte während des Gottesdienstes häufig ein Deus und Pater noster und benedictus hören, und er verstand, die kleine Glocke nett zu läuten. Für Ale tat Vater Simeon so manches – er taufte heimlich, er verkaufte die Hostie, daß man sie für eine gute Ernte in die erste Furche legen konnte, und er vermählte sogar ohne Aufgebot. Bei der Beichte war er auch von Nutzen, und daher rührte auch sein Spitzname ›Vater Drei Ave‹. Für gewöhnlich war er nämlich nicht in der Lage, sich an das Gesagte zu erinnern, und so legte er nur federleichte Bußen auf, und das kam meiner neuen Verwandtschaft vortrefflich zupaß.
    »Gestern abend zwei Kerls umgebracht«, keuchte und knurrte mein Schwiegervater dann wohl und kniete nieder.
    »Bereut Ihr?«
    »Natürlich, ich hätte ihnen gar nichts getan, wenn sie nicht angefangen hätten.«
    »Ego te absolvo . Drei Ave.«
    Und diese Methode funktionierte weitaus besser als Master Kendalls, denn nicht einmal der konnte mich ganz vor meinem strengen Beichtvater schützen. Der wußte selbstverständlich, daß ich eine Ketzerin war und ein Geständnis und einen Widerruf unterzeichnet hatte und unter Aufsicht des Bischofs stand, damit ich nicht rückfällig wurde. Und alles, weil ich die Gesundbeterei betrieben hatte – dabei lernte ich übrigens auch Master Kendall kennen –, ich behandelte seine Gicht, und nach meinen ganzen Scherereien beschloß er, mich zu heiraten, damit ich seine Gicht auch weiterhin behandeln konnte. Sie behaupteten, ich wäre eine Hexe und eine Ketzerin und eine Sünderin und noch vieles mehr an Gemeinheiten, und dann steckte ich so tief in der Tinte, daß ich fast nicht mehr herausgekommen wäre. Ich konnte von Glück sagen, daß ich mit einem Geständnis davonkam, sonst hätten sie mich nämlich verbrannt, und das wäre noch schmerzhafter gewesen.
    Doch seit der Zeit habe ich die Gesundbeterei aufgegeben, nur noch ein kleines bißchen in der Familie, aber gut bin ich darin immer noch. Es klappt sogar bei Pferden, obwohl ich gestehen muß, ich hätte es nie gewagt, wenn es nicht um Cecily und Alison gegangen wäre. Und wenn die Gabe im Freien ihre Wirkung tut, kann man das Licht, welches dabei entsteht, nicht sehen, darum glaube ich auch nicht, daß jemand etwas gemerkt hat außer diesem scharfäugigen, alten Mann. Die Gabe ist mir in einer Vision geschenkt worden, die gewißlich geradewegs von Gott kam, und wenn Gott will, daß man etwas tut, dann muß man sich auch an die Arbeit machen. Zuweilen verläßt mich die Gabe natürlich, so wenn ich krank oder schwanger bin, doch was ist auf dieser Welt schon vollkommen? Nur sehe ich mich jetzt sehr vor, denn die Inquisitoren haben mir versichert, sie verbrennen mich zu Asche, wenn sie mich noch einmal dabei erwischen, und das hat mir die Sache arg verleidet, auch wenn Gott es anders gewollt hat.
    Früher habe ich mir Sorgen gemacht, ich könnte unwissentlich etwas Böses getan haben, denn ich wollte mich wirklich gut mit Gott stellen. Aber heute weiß ich, daß es dabei nur um das Handelsmonopol geht. Das habe ich von Master Kendall gelernt, der ein vortrefflicher Händler war und obendrein sehr weltläufig. Ihm war stets an meiner Erziehung und Bildung gelegen, deswegen hat er mir viele wichtige Dinge erzählt und Lehrmeister für mich eingestellt, die mir

Weitere Kostenlose Bücher