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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Master Kendall, Ihr fehlt mir auch so sehr, und unser Haus, das wir uns so behaglich gemacht hatten – und gerecht ist es auch nicht, daß Ihr leiden müßt, nur weil Ihr so plötzlich gestorben seid.« Ich schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
    »Na, na, weine nicht so. Du weißt doch, ich kann deine Tränen nicht leiden. Diese Existenz hier ist gar nicht so schlimm – nur langweilig. Bis jetzt habe ich noch niemand gefunden, mit dem man sich unterhalten kann, außer diese alberne Weiße Dame – die mußte ich erst einmal auf ihren Platz verweisen –, hab ihr gesagt, daß ich Seine Majestät kannte und auch den seligen König persönlich, danach mußte ich mir nichts mehr anhören über Krämer und gesellschaftliche Emporkömmlinge, die ihr die Kapelle wegnehmen wollen. Das ist mir vielleicht ein verflucht freudloser Ort! Auf den lege ich keinerlei Wert. Nein, da sind die Speisekammer und der Platz unter der Treppe interessanter.«
    »Master Kendall!« Ich war entsetzt. Er lachte sein kaltes böiges Lachen, das Echo des Lachens, das ich so geliebt hatte. Ach, mit diesem Lachen hatte er es immer verstanden, alles ins rechte Lot zu rücken.
    »Glaub nicht, daß es hier oben ungerecht zugeht, Margaret. Du tätest ihnen Unrecht. Aber es gibt ein paar Dinge, von denen ich dir nie erzählt habe – die Freibeuterei beispielsweise. Damals war ich viel jünger, und ich dachte, das wäre längst vergessen. Zudem meinte ich, ich hätte eine sehr gute Ausrede. Dazu kommen noch ein, zwei andere Dinge, die ich dir selbst heute noch äußerst ungern erzählen würde. Du bist immer so ein liebes Dingelchen gewesen, Margaret, ich wollte, daß du nur gut von mir denkst.«
    »Aber das habe ich doch auch, und daran ändert sich auch nichts. Ich werde Euch immer lieben.«
    »Ach, Margaret, du scheinst mir allmählich sehr angetan von Bruder Gregory, diesem Querulanten – oder soll ich ihn Gilbert nennen? Ich muß schon sagen, ich hätte ihm nie zugetraut, daß er dich einfach so entführt. Obwohl ich ihn jetzt besser verstehe, nachdem ich seine Familie kennengelernt habe.«
    »Seid Ihr mir deswegen böse?«
    »Warum? Weil du nicht andauernd an meiner Gruft weinst? Oder dich lebendig in einem Kloster begräbst, wo du noch so jung und lebenslustig bist? Oh, nein, Margaret. Ich möchte nur eines, nämlich daß du glücklich bist. Ich habe dich über alles geliebt, als ich noch warm und lebendig war, und jetzt, da ich neblig und kalt bin, brauchst du natürlich Jugend und Wärme neben dir. Versprich mir nur, daß du mich nicht vergißt, mehr verlange ich nicht.«
    »Oh, wie könnte ich Euch das wohl abschlagen? Ihr wißt doch, daß ich Euch von ganzem Herzen geliebt habe, als Ihr noch lebendig wart, und ich liebe Euch immer noch.«
    »Da ist noch eines –«
    »Was denn?«
    »Ich kann nicht gehen, ehe ich nicht sicher bin, daß du in guter Hut bist. Und den aufbrausenden, jungen Mann, der dich geheiratet hat, den sehe ich mir schon eine Zeitlang an, aber eines habe ich ihn noch nie sagen hören.«
    »Ich weiß«, sagte ich und neigte den Kopf. »Kann sein, es liegt ihm einfach nicht.«
    »Wenn ihm das nicht liegt, dann solltest du auch nicht bei ihm liegen, und wenn ihr noch soviel Spaß in den Federn habt.« Lieber Himmel, Master Kendall nahm wirklich kein Blatt vor den Mund. Aber wir waren ja auch immer ehrlich zueinander gewesen.
    »Ich kenne dich zu gut, Margaret. Du kannst nicht ohne ein warmes Herz an deiner Seite leben. Vergiß also nicht, ich warte ebenso darauf wie du, es zu hören. Dann kann ich nach oben oder nach unten fahren, oder wo immer man mich hinschickt – aber zugegeben, hoffentlich bewirken deine Gebete etwas, und es ist die ewige Seligkeit und nicht das ewige Höllenfeuer. Doch wohin auch immer, ich weiche nicht, ehe ich es nicht gehört habe. Nicht einmal die da oben können mich dazu zwingen.«
    Worauf warteten wir beide? Auf recht wenig, aber es waren die Worte, die Gregory in meiner Gegenwart tatsächlich noch nie über die Lippen gebracht hatte. In der ganzen Zeit, die wir uns nun schon kannten, hatte er noch nie ›ich liebe dich‹ gesagt.

Kapitel 4
    U nd dann habt Ihr alles geschluckt wie ein gefräßiger Windhund?« Sir Henry von Grosmont, Herzog von Lancaster und Graf von Derby, Lincoln und Leicester, Reichsverweser und Lord von Bergerac und Beaufort jenseits des Kanals, hatte seine Bittsteller im Schlafgemach seiner riesigen Burg zu Kenilworth empfangen, so wie es seine Gewohnheit war. Englands

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