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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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waren. Was hatte er damals noch geschrien, als er sich das Bettlaken geschnappt hatte und fortgelaufen war? Vergessen, aber es war sehr komisch gewesen, selbst dann noch, wenn er es lange Zeit später bei Tisch zum Besten gab. Schon damals stand Gilbert in dem Ruf, tugendhafter und heiliger zu sein, als es sich für einen Soldaten gehörte. Natürlich kümmerte das den Herzog wenig. Solange ein Mann auf dem Schlachtfeld kämpfte wie ein Berserker, konnte er mit seiner restlichen Zeit anfangen, was ihm beliebte. Selbst beten und sich geißeln, falls ihm das Spaß machte.
    »Dann hat sie also Euer Sohn Gilbert entführt, wie?«
    »Ja, Mylord. Aber er hatte keinen blassen Schimmer, daß Master Kendall ihr alles vermacht hatte. Dergleichen gehört sich nicht. Man kann eine Summe aussetzen oder ein lebenslanges Wohnrecht im Haus gewähren. Aber alles? Das hätte keiner von uns für möglich gehalten. Doch jetzt gebietet es unsere Ehre, daß wir alles behalten.«
    Die Situation hatte durchaus etwas Vergnügliches. Über das Gesicht des Herzogs huschte der Anflug eines Lächelns. Es schoß ihm durch den Kopf: Wie gut, daß sie in der Haltung mein Gesicht nicht sehen können.
    »Sir Hubert, erhebt Euch, und Eure beiden Söhne auch. Die Ehre der de Vilers ist mir teuer. Was genau hat der Graf noch gesagt?«
    »Das über die schäbige, jüngere Linie der de Vilers?« fragte Sir Hubert und erhob sich. Allein schon bei dem Gedanken schwollen ihm die Adern an den Schläfen. Sir Hugo blähte die Nüstern. Und Gilbert blickte dräuend und düster und knirschte mit den Zähnen.
    »Nein, das andere –«
    »Ach, das über die zittrigen Tatzen eines alternden Knackers?«
    »Der Graf ist jung, man muß ihn auf seinen Platz verweisen. Wieviel Mann braucht Ihr?«
    »Dreißig dürften genügen. Soviele bringt er nicht ins Feld.«
    »Ich schicke fünfzig. Sir John –« und damit winkte er seinen Adjutanten herbei, der neben seinem Bett stand, »sorgt dafür, daß morgen dreimal zehn Reisige nach Sussex aufbrechen können. Fürwahr, es macht mich zornig, daß der Graf ausgerechnet am Vorabend meiner neuen Kampagne in Frankreich die Lebensgrundlage meiner Ritter gefährdet. Bruder Athanasius –« und hiermit winkte er einen der beiden Schreiber zu sich, die immer mit Wachstafel und Griffel bewaffnet neben ihm standen, wenn er Bittsteller anhörte, »– ich brauche einen Brief an den Friedensrichter des Inhalts, daß die Sache der de Vilers auch die meine ist, dann einen weiteren Brief an meine Anwälte in London.« Der Schreiber verneigte sich und verschwand eilenden Schrittes. Auch Sir John verzog sich und erteilte seine Befehle, während im Schlafgemach ein ständiges Kommen und Gehen herrschte.
    »Das neue Schlachtroß, Sir Hubert, ja, das erprobe ich, sowie es mein Fuß erlaubt.« Der Herzog lief zu Höchstform auf, wenn er Mittelpunkt eines emsigen Bienenstocks war. Er hörte sich eindeutig huldvoll an, jetzt, wo man den formellen Teil hinter sich hatte.
    »Ein schönes Maul, Mylord. Seinesgleichen findet ihr nirgendwo.«
    »Das glaube ich gern. Ihr erwerbt Euch allmählich den Ruf eines Pferdezüchters.« Sir Hubert lief vor Freude rot an. Der Herzog hatte den Schlüssel zu seinem Herzen gefunden. »Und obendrein habt Ihr mir zwei prächtige Söhne mitgebracht.« Sir Hubert schien etwas zusammenzuzucken und warf Gilbert einen verstohlenen Blick zu. Doch der hatte sich unterdes nicht verändert, machte immer noch nichts aus sich her.
    Nun strahlte die Sonne seiner Huld auf Hugo.
    »Sir Hugo, der Mut Eures Vaters in meinen Diensten kennt keine Grenzen, und Ihr scheint ihm zu ähneln. Ich habe Euch seit geraumer Zeit im Auge. Von Euch erwarte ich große Taten.« Jetzt war Hugo an der Reihe, unbeschreiblich zufrieden auszusehen. Mit seinem Charme konnte der Herzog, wenn er wollte, einer Schlange die Zähne abschwatzen oder Männer dazu bringen, daß sie im Morast fremdländischer Orte für Ruhm und Ehre verreckten.
    »Und Ihr, Gilbert? So stoßt Ihr am Ende doch noch zu uns.« Gregory sah überrascht aus. »Besser Ihr, als diese Söhne von Fischhändlern und Seifensiedern, die ich am Halse habe.« Gilbert sah verdutzt aus. »Kendalls Herrenhäuser, wenn sie erst einmal auf Euren Namen eingetragen sind, bringen Euch doch gewißlich mehr als fünfzehn Pfund im Jahr ein, oder?«
    »Ja, natürlich – das heißt, erst müssen die Schulden abbezahlt sein«, erwiderte Gregory immer noch verdutzt. Er hatte die Bücher selbst eingesehen. Das

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