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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Einkommen, welches zwar die armseligen fünfzehn oder zwanzig Pfund eines Ritters im Jahr beträchtlich überstieg, war auf viele Jahre im voraus unwiderruflich verpfändet, um die Anwälte und den Bischof zu bezahlen. Denn sein Universitätsgrad bedeutete, daß er automatisch die niederen Weihen hatte, und dafür hätte man ihn wegen der Heirat mit einer Wittib als Bigamisten bestrafen können, wenn ihn der Bischof nicht für eine hübsche Summe davon befreit hätte. Hinzu kamen noch Anleihen für die Bestechungsgelder, daß die Anklage wegen Mordes fallengelassen und als Selbstverteidigung hingestellt wurde, und die Ausbesserung des Palasdaches von Brokesford Manor, da Vater behauptete, das verdiene er für seine Mühewaltung. Dann gab es noch eigenartige Erbschaftssteuern zuhauf, wie beispielsweise die, daß der Lehnsherr und der Priester die besten Tiere eines jeden Anwesens forttreiben durften. Nicht einmal eine Entführung war einfach, das hatte er am eigenen Leib erfahren, denn vor ihm erstreckte sich die Zukunft als ein Alptraum aus Schulden und finanziellem Ruin. Er war auf einen Schlag reich und zugleich arm geworden.
    »Das neue Gesetz dürfte Euch gewißlich bekannt sein? Es ist seit drei Jahren in Kraft. Selbstverständlich braucht ein Ehrenmann kein Gesetz; der weiß, was er seinem Lehnsherrn schuldet.« Gregory sah immer noch verdutzt aus. Man hatte ihm letztens soviele Gesetze um die Ohren geschlagen, daß er nicht wußte, welches gemeint war.
    »Mylord, Ihr müßt mir helfen. Ich habe die meiste Zeit im Kartäuserkloster von Witham zugebracht und nichts von der Welt draußen gehört.«
    Der Herzog verarbeitete diese Information, schwieg ein Weilchen, dann sagte er: »In den vergangenen drei Jahren hat seine Majestät jeden Landbesitzer, der mehr als fünfzehn Pfund Pacht im Jahr einnimmt, aufgefordert, die Pflichten eines Ritters auf sich zu nehmen und Heerfolge zu leisten. Der nächste Ritterschlag findet zu Pfingsten statt.« Zufrieden musterte der Herzog Sir Huberts triumphierende Miene. »Es ist wohlgetan, den Kaufleuten und Bankleuten Ländereien wieder abzunehmen. Gilbert de Vilers, Ihr werdet mir manch wackren Reisigen von den Kendall'schen Landgütern stellen. Heute habe ich ein gutes Geschäft für den König gemacht.« Doch Gregorys Gesicht tat eher Schreck als gebührenden Dank kund. Und so fuhr er gleisnerisch fort, ohne Gregory dabei aus den schlauen Augen zu lassen: »Man berichtet mir, daß Ihr Gelehrter seid, Gilbert. Etwas eigenartig für einen Gelehrten, eine Frau mit gezogener Waffe zu entführen. Aber wieviele Soldaten sind schon Gelehrte?« Gregory hatte sich nicht vom Fleck gerührt, aber er sah unsäglich verlegen aus.
    »Habt Ihr gewußt, daß sogar ich mir Gedanken wegen meiner Seele Seligkeit mache? Ich stelle ein Buch mit Meditationen zusammen, welches das Auge eines Gelehrten durchaus interessieren dürfte. Einer wie Ihr, der noch etwas mehr als nur Gelehrter ist.« Mit Befriedigung sah der Herzog, daß Gregorys Neugier geweckt und ihm an der Nase abzulesen war.
    »Ich denke oft, daß ein gelehrter Kopf, selbstverständlich einer, der tiefschürfend über heilige Dinge nachgedacht hat, mir bei meinem kleinen Werk hilfreich unter die Arme greifen könnte.«
    »Es kommt nur auf die Zusammenstellung an. Wenn Ihr glücklich ausgewählt habt, so braucht es nicht mehr, Mylord«, stieß Gregory hervor, ehe er sich dessen versah.
    »Genau wie ich mir dachte – was hieltet Ihr davon, wenn man die Klage um unsere Sünden den einzelnen Gliedmaßen des Leibes zuordnen würde?«
    »Fürwahr, eine brillante Idee«, sagte Gregory und meinte es ernst. Der Herzog wirkte zufrieden. Sir Hubert und sein Ältester blickten sich verständnislos an.
    »Ich sollte Euch nicht vorenthalten«, sagte der Herzog und erweckte den Eindruck, als wäre ihm der Gedanke nicht gerade erst am Vortage gekommen, als man ihm die Ankunft der de Vilers meldete, »daß ich in Frankreich einen Mann in meinem persönlichen Gefolge brauche, einen Gelehrten, aber keinen nutzlosen. Einen Soldaten, einen Ehrenmann aus guter Familie. Ich habe mir gedacht, daß eine Chronik meines Feldzuges – vor Ort geschrieben, doch nicht von irgendeinem schlafmützigen Mönch, der nichts vom Leben gesehen hat und nichts vom Rittertum versteht –, daß eine solche Chronik die Mühe lohnte.« Er verfolgte, wie der Gedanke in Gregorys Kopf anfing zu arbeiten. Er wußte, nicht das fürstliche Ansinnen – die Ehre, im Dienst des Herzogs

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