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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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unerwartet und brach damit ihr gewohntes Schweigen.
    »Umpf?« Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an. Die Brüder wandten den Kopf.
    »Das Brunnenwasser taugt nichts. Es verdirbt den Sauerteig. Ich habe ihnen zugesehen – der Brunnen ist nah, und die Quelle ist weit weg, darum machen sie sich nicht die Mühe, frisches Wasser zu holen. Aus dem Ale kann so auch nichts werden. Euer Brunnen liegt, glaube ich, zu dicht am Burggraben. Das schlechte Wasser kann unterirdisch in den Brunnen sickern.«
    »Wenn Ihr damit fertig seid, meine Tafel und meinen Brunnen zu bekritteln, nehme ich den Fehdehandschuh auf. Tretet den Beweis an und macht es besser, Madame.«
    »Und wenn es mir gelingt?« Der alte Ritter musterte ihr Gesicht eine geraume Weile. Verdammt unverschämtes Frauenzimmer, dachte er. Eine weitere Tracht Prügel würde sie mehr Unterwürfigkeit lehren.
    Aber der Vorgeschmack auf besseres Ale trübte ihm einen Augenblick den Verstand, und so vergaß er Sitte und Anstand und sagte: »Dann gebe ich Euch Feder und Tinte zurück.« Hugo sah entsetzt aus, um Gilberts Mund zuckte es, und in seinen Augen blitzte es belustigt auf. Das Kalte Ding lachte in sich hinein, doch das hörte kein Mensch.

    Am Morgen nach dem Benedikttag, als der Lord von Brokesford, flankiert von seinen Söhnen, zum Hof des Herzogs in Kenilworth ritt, da drückten ihn gar mancherlei Sorgen. Zum einen lastete die Bittschrift an den Herzog wie ein Alp auf ihm, doch fast genauso schlimm beschwerte ihn der Gedanke, daß er in einem schwachen Augenblick der verrückten Frau seines Sohnes vor Zeugen erlaubt hatte, während seiner Abwesenheit sein Haus auf den Kopf zu stellen. Ein Lord darf sein Wort nicht brechen, zudem hatte sich die Geschichte verselbständigt und machte auf flinken Zungen die Runde durch die Grafschaft und bot dabei Anlaß zu Heiterkeit, Mutmaßungen und sogar zu ein paar Wetten. Dazu kamen noch die Verhandlungen wegen Mutter Sarah, welche in einem Dorf lebte, das zum Grundbesitz seines Nachbarn Sir John gehörte. Er hatte für den alten Drachen ein hübsches Mädchen eintauschen müssen. Mutter Sarah war dafür berüchtigt, daß sie drei Ehemänner mit Nörgelei unter die Erde gebracht hatte. Aber er brauchte jemanden, der grimmig genug war, um es mit diesen widerlichen, kleinen Mädchen aufzunehmen. Auch das hatte seine Nachbarn recht heiter gestimmt. Nur Frauen können einen Mann so ins Verderben reißen, dachte er in einem der seltenen Augenblicke, wo er nachdachte. Allein schon ihr Dasein bringt die gerechte Weltordnung durcheinander.
    Die beiden letzten Tage hatten ihn unsäglich verbittert. Überall stolperte man über die Frau, wie sie, in der Regel in eine große Schürze gehüllt, Befehle erteilte. Er wollte mit seinen Nachbarn auf Schädlingsjagd reiten, und da stand sie, kommandierte einen Ochsenkarren herum und probierte mit einer großen Schöpfkelle das Wasser aus einer Ladung Wasserfässer. Bei der Rückkehr konnte er über dem Glöckchengebimmel der Terrier ihre Stimme aus dem Backhaus schallen hören:
    »Das Mehl hier ist nicht richtig gesiebt. Damit kann man nur Schrotbrot backen, aber kein Brot für die Tafel.« Frauenstimmen reizten ihn ohnedies. Sie waren zu hoch und zu schrill. Besonders wenn sie Befehle erteilten. Frauen sollten nur flüstern dürfen, dachte er mißmutig. Und dann erspähte er ein Paar Rotschöpfe, die ohne ihre Aufpasserin zum Backhaus stürmten. Eine lief so dicht vorbei, daß sie beinahe unter die Pferdehufe geraten wäre.
    »Nicht so schnell«, knurrte er. Mit einer einzigen fließenden Bewegung hatte er sich aus dem Sattel gebeugt und das strampelnde Geschöpf hinten am Kleid hochgehoben. »Wo ist Mutter Sarah?«
    »Unter der Treppe beim Kleinen Will. Runterlassen, bitte. Wir helfen Mama.« Und die Nachbarn hatten so herzhaft gelacht, daß er das ekelhafte Geschöpf auf der Stelle absetzte. Denn allem Anschein nach war er der Allerletzte in der ganzen Grafschaft, dem aufging, daß Mutter Sarah nicht nur für ihre Begabung berüchtigt war, Ehemänner zu überleben, sie wußte auch, wie man sich den nächsten zulegte. Statt Ordnung zu schaffen, hatte er ein weiteres abscheuliches Wesen auf seine fest gefügte Männerwelt losgelassen. Ein furchtbares Gefühl, dieses Gefühl, daß seine Welt in Wirrwarr unterging und daß der Grund dafür Frauen waren. Weiber, fast so schlimm wie Advokaten.

    Als Sir Hubert also mit Gregory und Sir Hugo aufbrach, kam ich mir ganz so vor wie das Mädchen aus

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