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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ihrem Braukessel hin. Sie begrüßte ihn, wie es sich geziemte, und bot ihm den Becher dar. Nur Gregory bemerkte, daß diese förmliche Geste unterschwellig spöttisch wirkte. Sein Vater nahm sie auf, als käme ihm das zu. Sie macht sich, dachte der alte Mann. Die Tracht Prügel von Gilbert hat vortreffliche Wirkung gezeitigt. Noch etwas mehr von der Sorte, und sie paßt ausgezeichnet in die Familie.
    Sir Hubert hob den Becher an die Lippen und trank einen großen Schluck; seine Miene veränderte sich, er sah verblüfft aus. Stumm reichte er den Becher an Hugo weiter, der trank und sagte: »besser als beim Herzog«, und blickte seinen Vater überrascht an. Dann besann er sich und reichte den Rest an Gregory weiter, der ihn nicht weiter erstaunt austrank. Schließlich wußte ganz London von dem guten Ale in Master Kendalls Haus. Es gehörte zu den Annehmlichkeiten, die seine Lehrtätigkeit so verlockend gemacht hatten, damals, als er noch ein freier Mann war und über Gott nachdachte. Ja, man könnte fast sagen, das Ale war an allem schuld; wieder und wieder hatte es ihn trotz allen Ärgers über Margarets Beschränktheit ins Haus gelockt. Margaret kniete immer noch vor ihnen und wartete auf die Antwort, die der gesamte Haushalt, der sich stumm unter der niedrigen Rundbogentür drängelte, bezeugen könnte. Alles verzog sich in den Palas, ein, zwei hatten sich sogar Kleinkinder auf die Schultern gesetzt, damit die besser sehen konnten. Jeder, aber auch wirklich jeder in der Grafschaft wußte von dem seltsamen Handel, den der alte Lord in einem Augenblick der Schwäche eingegangen war. Und als die Kunde, daß ihr Ale stärker und süßer war als alles Ale in der ganzen Christenheit, in den benachbarten Herrenhäusern die Runde machte, wuchs das Interesse von Tag zu Tag, und man sah seiner Heimkehr gespannt entgegen. Wie würde er sein Versprechen halten? Wie konnte er solch ein Versprechen halten?
    »Es ist gut«, sagte er.
    »Besser als Eures, wie ich geschworen habe«, erinnerte ihn Margaret.
    »Ja, besser«, sagte er. Sie sollte sich ja nichts einbilden. Eingebildete Frauenzimmer waren der Ursprung allen Übels auf der Welt. Wenn einer darüber Bescheid wußte, dann er. Es gehörte zu seinen Pflichten der Menschheit gegenüber, daß er Frauen verwehrte, sich etwas einzubilden, obwohl das schon in seiner Ehe eine Heidenarbeit gewesen war. Eine Arbeit, die einen Helden erforderte. Aber das gehörte zu den Dingen, nach denen Gott, da Er ein männliches Wesen war, ihn fragen würde, ehe Er ihn in den Himmel ließ, und er war stolz, von sich sagen zu können, daß er dieser Pflicht stets nachgekommen war.
    »So hört denn, wie ein Ritter zu seinem Wort steht, auch wenn er es in einem Augenblick der Schwäche gegeben hat.« Sir Hubert sprach zu der versammelten Menge wie ein Fürst.
    »Dame Margaret –« diese höfliche Anrede gewährte er ihr »– Ihr mögt Feder und Papier haben, wenn Euch danach ist und wenn Ihr Euren Pflichten nachgekommen seid, und Ihr dürft Bücher lesen.« Furchtbar. Die Leute blickten sich an. »Doch nur, wenn ein Mann dieses Haushalts zugegen ist, vorzugsweise Vater Simeon.« Ah, bewundernswert. Das Urteil eines Fürsten. Beifälliges Kopfnicken über die Klugheit des alten Ritters – ein Salomon, der jederzeit ein Kind zweiteilen würde.
    Margaret dankte ihm und erhob sich. Ihre Miene war völlig ausdruckslos. Der alte Lord blickte huldvoll, denn ihm dünkte, in ihren Augen so etwas wie demütige Dankbarkeit erspäht zu haben. Doch er täuschte sich: Margaret unterdrückte den mächtigen Drang, ihm haarscharf zu sagen, was sie von ihm dachte. Halte deine Zunge im Zaum, redete sie sich gut zu, mach dir nur dieses eine Mal keine Scherereien, du kannst später aufschreiben, was du von ihm hältst, von diesem aufgeblasenen, unwissenden, habgierigen alten Heuchler.
    »Auf, auf zum Essen«, rief Sir Hubert mit dröhnender Stimme und brach damit das Schweigen. »Die Ländereien von Withill sind wieder in unserem Besitz, und das muß gefeiert werden. Und am St.-Edwards-Tag gebe ich ein großes Fest, denn in einer Welt voll Schandtaten hat die Gerechtigkeit den Sieg davongetragen.«
    »Euer Vater ist sehr gnädig«, sagte Margaret, als sie Gregory begrüßte, während Gefolgsleute und Klatschmäuler sich tummelten, daß sie die Tische deckten.
    »Wir haben gewonnen, Margaret, nur nicht die Fälle, die noch vor Gericht anhängig sind. Und die dürften jetzt auch zu unseren Gunsten ausgehen. Aber die

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