Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
hübsch, hat zwei rothaarige Mädchen dabei? Sie trägt Trauerkleidung – ist unverkennbar. Wer sie findet, bekommt eine Belohnung.« Die Kaufleute blieben stumm. In dem Schweigen konnte ich hören, wie die Pferde auf ihrer Trense kauten und die Wachen schwer atmeten.
    »Sieht aussichtslos aus«, hörte ich die Männer sagen. »Versuchen wir es mit dem anderen Weg.« Und schon sprengten sie davon, daß die Trensen klirrten. Wir kauerten noch ein Weilchen so, bis Fra Antonio, der hinter dem Wagen ritt, uns durch die Leinwand auf Französisch zuflüsterte, daß die Luft rein sei.
    »Eure Freunde, die Kaufleute, stehen zu Euch«, sagte die dunkle Dame, als wir wieder auftauchten.
    »Sie haben eine Belohnung ausgesetzt«, sagte ich etwas verstört. »Hugo muß ausnehmend Scheußliches vorhaben.«
    »Eine Belohnung, äh? Dann habt Ihr tatsächlich ein großes Vermögen. Das ist der Beweis. Diese Männer ziehen die Aussicht auf eine Heirat mit Euch, bei der sie es in die Finger bekommen, einer Belohnung vor, die ihnen gewiß ist. Aber so wie ich Hugo kenne, ist die Belohnung durchaus nicht gewiß. Vielleicht hat sich das herumgesprochen?« überlegte sie laut.
    »Die Menschen hier sind nicht so hinter dem Geld her; es sind gute Männer. Sie haben meinen seligen Mann gekannt.«
    »Unfug. Aber es freut mich, daß ich dem Schuft Hugo soviel Unannehmlichkeiten bereite. Das macht mein Fluch, er wirkt. Meine Verwünschungen wirken immer.« Sie schien sehr zufrieden mit sich zu sein. Alsdann warf sie mir erneut einen Blick zu, musterte mich irgendwie abschätzend von Kopf bis Fuß. »Was ist mit dem Stückchen Goldkette um Euren Hals? Da ich keine Ringe gesehen habe, hielt ich Euch für arm. Arme mag ich nicht besonders. Aber das Goldding da, das Ihr unter Eurem Überkleid verbergt, das ist meinem Blick entgangen. Was versteckt Ihr? Zieht es heraus und laßt mich sehen.«
    Wie schon gesagt, sie gehörte nicht zu den Frauen, die man vor den Kopf stoßen durfte. Ihr zu Gefallen holte ich mein Kreuz aus seinem Versteck zwischen Kleid und Überkleid. Als ich es ihr hinhielt, machte sie große Augen, fuhr ein wenig zurück und bekreuzigte sich.
    »Heilige Jungfrau Maria, kein Wunder, daß ich Euch nicht an die da verraten konnte. Das tragt Ihr?«
    »Dann kennt Ihr es?« fragte ich.
    »Ich habe es als kleines Mädchen gesehen, da hing es in einem Schrein in einer Mailänder Kirche. Bei der Plünderung der Stadt ist es verschwunden. Man munkelte, Lodrisio Visconti hätte es sich geschnappt und es hätte ihn bis auf die Knochen verschmort; am folgenden Tag wurde er in der Schlacht von Parabiago gefangengenommen. Seit der Zeit habe ich ein paar Mal von ihm gehört. Dieser verfluchte, deutsche Söldnerhauptmann, Werner von Urslingen, soll sich geweigert haben, es anzufassen, als ein plündernder Bauer es einem noch warmen Leichnam abschnitt. ›Das Ding da kenne ich‹, hat er gesagt, ›ich brauche keinen Talisman, der mir sagt, was ich der Welt verkünden soll‹. Dann hat er sich auf den Brustharnisch geschlagen und gerufen: ›Ich bin von Urslingen, Gottes und aller Welt Feind. Weg damit – nein verkauft es irgendeinem rührseligen Italiener‹. Als Fra Moriale trotz seiner großen Streitmacht gefangengenommen und hingerichtet wurde, soll es unter seiner Habe gewesen sein. Und jetzt scheint es den Weg nach England gefunden zu haben. Wie seid Ihr daran gekommen und warum verschmort es Euch nicht?«
    »Man hat es mir für eine gute Tat geschenkt.«
    »Ach – das erklärt alles. Habt Ihr gewußt, daß man es weder kaufen noch verkaufen oder stehlen darf, sonst vernichtet es den Besitzer.«
    »Das ist, glaube ich, ein wenig übertrieben, doch gelegentlich macht es Brandblasen.«
    »Aber nicht bei mir«, sagte Cecily und faßte es an.
    »Cecily! Laß das!« Ich war ärgerlich. Cecily muß noch lernen, daß man Erwachsene nicht unterbricht.
    »Cecily will bloß angeben«, sagte Alison und faßte es auch an.
    Die dunkle Dame musterte uns drei eingehend.
    »Ich glaube, ich bin froh, wenn ich Euch drei los bin«, sagte sie nachdenklich. »Wenn wir nur erst in London wären.«
    Nachdem wir mehrere Stunden abgründig geschwiegen hatten, fing sie an sich zu langweilen und richtete wieder das Wort an mich. Wir befanden uns jetzt auf der großen Straße nach Süden, die im Gegensatz zu anderen Straßen mit großen Steinen entweder von Hünen oder von den Römern gepflastert worden war, doch das ist Ansichtssache. Als wir über das ausgefahrene,

Weitere Kostenlose Bücher