Die Vision
– das ist sie; selbst ohne die rothaarigen Mädchen und den Hund bestünde kein Zweifel daran.«
»Immer auf der Suche nach Beweisen, was Robert? Wieso hast du nur die Juristerei aufgesteckt? Du hast eine Ader dafür.«
»Immer das gleiche alte, traurige Lied, Nicholas. Kein Geld. Ohne Magistertitel, nur mit einer Ader, wie du es nennst, kommt man nicht weit. Außerdem hat mich Gott zu Höherem auserkoren, als über muffigen Gesetzestexten alt zu werden.«
»Vermutlich sagt dir Altwerden in Schenken eher zu?«
»Klar, wenn andere für mich zahlen. Trinken wir noch eins auf Sir Edward, den lieben, kleinen Grünschnabel, und auf das Vermögen seines nachsichtigen Vaters.«
»Besser noch auf den Grafen selber!«
»Hipp, hipp, hurra!« erklang es aus vielen Kehlen, Bierkrüge schepperten aneinander, und dann hörte man es gurgeln, als die Krüge geleert wurden. Aus einem anderen Zimmer kam gedämpft das heisere Lachen einer Frau. Eine Schenke? Und wenn, dann eine übel beleumdete.
»Also, ich muß jezt los, Robert. Im Gegensatz zu dir betreibe ich ein Geschäft. Laß mich wissen, wenn du wieder Hilfe brauchst.«
»Wann hätte ich wohl keine Hilfe gebraucht, Nicholas? Möge Gott es dir hundertfach vergelten, daß du dein Brot mit einem Faß ohne Boden teilst.« Weiteres Geschepper und Gegurgel. Dann ein ausgiebiger Rülpser.
»Aha, jetzt habt Ihr die Augen aufgeschlagen, Mistress Margaret Kendall. Merkt Ihr was? Ich kenne Euch. Das macht meine gute Beobachtungsgabe. Durch Eure geschwätzigen, kleinen Mädchen, die jetzt stockbesoffen unter dem Tisch schnarchen, weiß ich sogar, daß eine Belohnung auf Euch ausgesetzt ist. Was führt eine reiche, dumme Frau wie Euch bloß in so eine gefährliche Gegend wie die hier?«
»Gregory. Ich habe Gregory hier gesehen. Sagt mir um Gottes willen, wo er sich versteckt. «Ich war immer noch zu schwach, als daß ich hätte aufstehen und mich umsehen können, woher die Stimme kam.
»Bruder Gregory? Der ist nicht mehr hiergewesen, seit er mit der reichen Kaufmannswittib durchgebrannt ist, die er unterrichtet hat. Mit Euch, um genau zu sein. Nicht zu fassen. Praktisch ein Grabschänder. Was für ein Streich! Rasch! Drastisch! Hat halb London ausgestochen – sogar meinen kleinen Grünschnabel –, alle, die Master Kendalls Vermögen in die Finger bekommen wollten. Aber ist er etwa zurückgekommen und hat mit seinen Freunden geteilt? Ihnen zur Feier seines neuen Wohlstands ein, zwei Ale spendiert? O nein, das Geld hat ihn so rasch hochfahrend gemacht, daß er sich nicht mehr hat blicken lassen. Einmal habe ich ihn aus der Ferne auf einem prächtigen Roß in der Nähe des Gerichts gesehen. Von Kopf bis Fuß ein Edelmann, fürwahr, so ritt er neben zwei Rittern in vollem Kriegsschmuck – einem alten und einem jungen. Blickte weder rechts noch links, wie ein Mann, den man zum Schafott führt. Ich rief ihn an, er jedoch hörte mich nicht. Und hier waren wir Busenfreunde, auch wenn der Hirnrissige sich für den Nominalismus stark machte. Wieviele Male habe ich ihn wohl zum Essen eingeladen, wenn er pleite war, der treulose Hund? Und so habe ich mich gerächt. Ich habe eine zotige Ballade auf ihn gedichtet. Die wird er so schnell nicht wieder los, die macht ihn überall zum Gespött. Und das, wo er immer Würde für drei gepachtet hatte – ich bin sicher, sie treibt ihn genau in diesem Augenblick an den Rand der Verzweiflung.«
Auf einmal war ich so wütend, daß meine Kräfte zurückkehrten. Ich setzte mich auf der Bank auf, und da drehte sich die rauchige Schenke mit der niedrigen Decke um mich. Ich erblickte einen Mann im abgewetzten Scholarengewand mit mehreren ineinander verschachtelten Gesichtern. Er saß auf einer Bank auf der anderen Seite des langen Schragentisches, welcher vor der Bank stand, auf die man mich gelegt hatte. Rings um ihn drängten sich andere, neugierige Gesichter, doch das galt mir gleichviel.
»Ihr seid das also gewesen. Ihr habt Euch all die häßlichen Lügen ausgedacht – und einem Toten die Ehre abgeschnitten. Ihr solltet Euch schämen. Schämen, hört Ihr! Damit habt Ihr nur einen gekränkt, nämlich mich – denn ihm ist Euer gräßliches Lied schon nicht mehr zu Ohren gekommen, Ihr neidischen Aasgeier, Ihr.«
»He, das sind aber starke Worte. Ich bin auch der Mann, der Euch gerade in der Gosse aufgelesen hat – gratis und franko – und Euch noch nicht einmal den ganzen Schnickschnack gestohlen hat, den Ihr vorn in Eurem Gewand bergt.«
»Das
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