Die Vision
Eingeweiden, und so schlau, daß man es nicht sehen kann.«
»Mpf, mpf, mpf!«
»Loslassen, nicht erdrosseln, hört ihr! In meinem Haus wird nicht gemordet!«
»Ich mache ein Sieb aus ihm.« Ein Messer blitzte auf.
»Nein, Jankyn, weg mit dem Messer, hast du nicht gehört? Kein Mord.« Das war Roberts Stimme, die übertönte das Stimmengewirr.
»Zieht ihn aus und setzt ihn vor die Tür!«
»Ja, gut so!«
Schreckliches Geschrei, während der Lombarde sich wehrte und doch so säuberlich gerupft wurde wie ein Hühnchen, dann warf man ihn zur Tür hinaus. Robert kehrte zu mir zurück, wo ich an dem Ale nippte, und wirkte sehr zufrieden mit sich.
»Nicht schlecht«, sagte er, »obwohl vier Mann dazu nötig waren. Zu solchen Zeiten fehlt uns Bruder Gregory. Der hätte den Mann ganz allein hinauswerfen können.«
»Er hat Falschspieler aus Schenken hinausgeworfen?«
»O ja, das und vieles mehr. Bei Bruder Gregory kam keine Langeweile auf. Und dann zitierte er Aquinas, nur um Salz in die Wunden zu streuen. Mein Gott, wie habe ich den Mann verehrt! Was für ein wählerischer, dünkelhafter, selbstgerechter Hund.« Ich sah ihn groß an. Er legte die Würfel auf den Tisch.
»Da«, sagte er, »mein Anteil an der Beute. Tut mir leid, daß es kein Geld ist. Nehmt sie als Opfergabe, als Entschuldigung. Tut mir leid, das mit der Ballade. Ich habe mich getäuscht, und ich möchte es wieder gutmachen. Geht jetzt nach Haus und lauft nicht mehr im Hafen herum. Ich stelle Nachforschungen an. Wenn er in irgendeinem christlichen Land lebt oder gestorben ist, ich höre bestimmt davon. Es gibt Menschen, die verschwinden spurlos, doch nicht ein Mann, der Verse schmieden kann wie Bruder Gregory. Seid versichert, irgendwo gibt es einen Schreiber, der von ihm hört, und davon kommt gewißlich Kunde in den Eberkopf . Jetzt sind wir quitt, nicht wahr?«
»Wir sind quitt. Ich nehme Eure Entschuldigung an.« Ich nahm die Würfel. Sie waren aus echtem Elfenbein und sahen wirklich einwandfrei aus. Keine Nahtstelle oder Ausbeulung irgendwo. Ich steckte sie in meine Tasche, in der sich kein einziger Penny befand.
»Wo wohnt Ihr? Ich begleite Euch und suche mir Hilfe, die Eure Brut abschleppt.«
»Ich wollte zu Master Wengrave, dem Paten meiner Töchter, ehe ich – ich dem – Geist folgte.«
»Zu dem Ratsherrn? Der wohnt weit von hier. Aber Ihr solltet Euch nicht einreden, daß es Bruder Gregorys Geist war.«
»Aber – wer sollte es denn sonst sein? Und warum sollte der hierher kommen – wo er sich für gewöhnlich aufhielt? Früher jedenfalls, da hatte ich die Hoffnung –« Mich schauderte bei dem Gedanken an die hochgewachsene und aufrechte Gestalt, die in der Wand verschwunden war.
»Kommt, kommt, so dürft Ihr es nun wirklich nicht aufnehmen. Schließlich habt Ihr keinerlei Beweise. Es kann irgendeine Erscheinung gewesen sein. Oder ein richtiger Mensch, und Ihr habt Euch geirrt, weil er die Kapuze hochgeschlagen hatte. Und was die Stimme angeht, so könnte es eine Halluzination gewesen sein. Gram treibt nämlich jeden in den Wahnsinn – nehmt es als gutes Zeichen, daß Euch irgendetwas zu uns geführt hat.«
Komisch. Ich sah, wie sich sein Mund öffnete und schloß, und doch kam seine Stimme wie von ferne, und sein Gesicht hatte jetzt etwas Güldenes, Verschattetes, so als wäre es mit mattgoldenem Licht gemalt. Zwar war sein Gesicht das eines eher gewöhnlichen, sauber rasierten Mannes in den Dreißigern und gekrönt von schütterem, bräunlichen Haar, doch jetzt wirkte es mit seinen tiefen Falten interessant, so als offenbarte sich darin ein reicher und tiefgründiger Charakter. Auch der übrige Raum wirkte unnatürlich still, mich dünkte, das Gelächter und Geklirr käme wie durch Wolle gedämpft. Zwar sprachen und bewegten sich die Leute nicht schneller als sonst, doch anscheinend konnte ich auch die kleinste Einzelheit ihrer Bewegung sehen, so als ob ich rascher auffaßte und sie unendlich langsam wären. Auch die anderen Gesichter waren in dunkelgoldenes Licht getaucht. Gesichter, die auf der Straße nicht auffallen würden, waren unvergleichlich schön, einzigartig und faszinierend. Stille umfing mich inmitten des Trubels und hielt mich gefangen, während ich wortlos in ihre neu erschaffenen Gesichter blickte und sie die Mädchen aufhoben und mit mir auf die Straße traten. Die schmalen Gassen lagen ebenso still, und Menschen mit eigenartig erleuchteten Gesichtern kamen an uns vorbei: Fuhrleute und Stallknechte und
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