Die Vision
war wohlgetan – ein Stück des Schnickschnacks ist nämlich vergiftet«, murmelte ich, und der Kopf sank mir auf den Tisch.
»Nein, nicht schon wieder. Kopf hoch, trinkt etwas, und dann erzählt, was Euch hierhergeführt hat.«
»Ich habe ihn gesehen – Gregory –, wie er durch die City ging, und bin ihm bis hierher gefolgt. Und dann habe ich seinen Todesschrei gehört. Er kam von weither. Es – es war gräßlich. Jetzt weiß ich, daß ich einem Geist gefolgt bin und daß er auf ewig verloren ist, und ich kann nicht einmal neben ihm ruhen, wenn auch meine Zeit gekommen ist. Und ich habe so fest daran geglaubt, daß er rechtzeitig zur Geburt seines Kindes zuhause sein würde. Allen habe ich erzählt, daß er nicht tot ist und daß ich ihn finden werde. Man hat versucht, mich einzusperren, aber ich bin ausgerissen. Ich habe gesucht und gesucht. Mit allen heimkehrenden Kapitänen und Soldaten habe ich gesprochen. Mein Gott, wie konnte es nur so weit kommen!« Und schon wieder legte ich den Kopf auf die Arme, doch dieses Mal um zu weinen, bis ich keine Luft mehr bekam.
»Kommt, kommt, Ihr dürft nicht so weinen. Nicht, wenn Ihr ein Kind erwartet, das tut nicht gut.« Sie umringten mich, und ich fühlte, wie man mir unbeholfen den Rücken klopfte. »Erzählt uns die ganze Geschichte.«
»Es – man hat ihm angeboten, für den Herzog von Lancaster zu schreiben. Eine – eine Chronik –« Ich hörte, wie ihnen der Atem stockte, jemand pfiff durch die Zähne und sagte: »Was für ein Gönner! Solch eine Gelegenheit bietet sich einem nur einmal im Leben!«
»Und Chroniken nehmen kein Ende – im Gegensatz zu Oden«, hörte ich die erste Stimme, die des Balladensängers, voller Bedauern sagen.
»Aber dazu mußte er nach Frankreich – die Idee stammte vom Herzog. Eine neue Art von Chronik, vor Ort geschrieben.« Ich hob den Kopf von den Armen. »Ich habe ihm gesagt, er soll einfach hinterher, wenn die Gefahr vorbei ist, die Aufschneidereien der anderen sammeln, aber das wollte er nicht.«
»Hmm. Unklug. Ja. Ungesund, das Klima in Frankreich dieser Tage –« brummte die Männerrunde.
»Er hat nämlich gesagt, es ginge nicht anders. Der Herzog hatte ihm mein Erbe gesichert, und nun stand er in seiner Schuld. Und dann gibt es auch noch so ein Gesetz – wer ein sicheres Einkommen hat, muß Heeresfolge leisten –«
»Ja, ja. Gefangen. Wie die Taube im Netz. So schnappt man sich heutzutage Gelehrte.«
»– Ja, Geld und die Pflicht – Köder und Vogelleim.«
»Wer hätte das gedacht? Keiner von uns war so frei wie er. Geld und Frauen sind eine Falle für jeden Mann, so hat er immer gesagt – und er hat recht gehabt. Oh, Verzeihung, Mistress –«
»Seit der Belagerung von Verneuil ist er vermißt –« Sie nickten ernst. »Aber ich hatte noch Hoffnung. Die Herolde haben seinen Leichnam nie gefunden. Zwar ist auch keine Lösegeldforderung eingegangen, aber ich habe gewußt, ich habe einfach gewußt, daß er noch am Leben ist – und jetzt –« Ich wischte mir die Augen mit dem Ärmel.
»Ihr solltet Eure Zeit nicht im Hafen verschwenden, Mistress, da gibt es zuviele Frauen in Schwarz. Wißt Ihr, wo Ihr seid?« fragte der Scholar in der ausgefransten Oxfordrobe.
»Ei, das hier ist in ganz Europa der zweitbeste Ort, wo man nach einem Verschwundenen suchen kann – der beste ist Paris, doch dahin könnt Ihr im Augenblick schwerlich reisen.«
»Ihr seid hier im Eberkopf , Mistress – ehem – ach, wie lautete übrigens Bruder Gregorys Nachname? Hatte er einen?«
»Keine Ahnung. Einfach Bruder Gregory, darunter lief er hier.«
»Ich glaube, so etwas wie Scrivener.«
»Kam nicht ein de darin vor? Er tat immer so vornehm.«
»Er lautet de Vilers«, sagte ich.
»Fürwahr, ein alter Name. Von den de Vilers aus Lincolnshire?«
»Nein, die jüngere Linie aus Hertfordshire.«
»Na gut, Mistress – oder besser Madame – de Vilers, das hier ist der Eberkopf , hier erfährt man alles, was in der Christenheit den Klatsch verlohnt. Seht Euch nur um. Flamen, Deutsche, Lombarden, Gascogner – eine regelrechte Kakophonie von Nationen – und alle Magister des geschorenen Schädels. In diesem Raum hört Ihr mehr Latein als Englisch, denn in erster Linie sind wir allzumal Jünger der Minerva.«
»Minerva? Dann gehört die Schänke ihr?«
»Und uns allen, auch uns allen, Mistress Margaret, die Närrin, die einen Scholaren freite. Hier ist es nicht elegant, wie Ihr seht, aber die ambiance – darin kommt nichts dem
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