Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
an: »Du wirst noch heute dem Tod begegnen, meine Taube. Das ist es, was ich sehe, auch wenn ich nur noch ein Auge habe. Du bist eine Gezeichnete.« Flink drehte sie sich nach diesen Worten um, tauchte unter dem Arm eines Fuhrknechts weg und war verschwunden, bevor Columba etwas erwidern konnte. Kopfschüttelnd sah die Kaufmannstochter der Alten nach.
»Branntweindrossel«, murmelte sie, »geschieht mir recht, daß ich mein Geld los bin. Nur gut, daß sie nicht den Freiherrn von Ypern in meiner Hand gesehen hat.«
Achselzuckend wandte sie sich nach rechts und lief mit hüpfenden Schritten bis auf die Höhe vom Werthchen, einer kleinen, vorgelagerten Insel. Und richtig, auf den Treppen, die zum Strom hinabführten, saßen sie, die Schlittschuhläufer. Sehnsüchtig betrachtete Columba die Schar. Es waren müßige Schiffersknechte, freie Handwerksgesellen und vorwitzige Mägde – darunter vielleicht einige Hübschlerinnen aus dem Hurenhaus vom Berlich –, die den Umgang mit den Kerlen nicht scheuten und ihre Frechheiten munter parierten. So frei müßte man sein, nicht auf seinen Ruf bedacht, überlegte Columba, wenigstens dieses eine Mal.
Sie fing den Blick eines drallen Mädchens auf, dessen strohfarbenes Haar wirr unter einer weißen Haube hervorstand. Ihre Wangen waren erhitzt und glatt vor Kälte, die hellblauen Augen blitzten unternehmungslustig. Das Mädchen war Columba auf Anhieb sympathisch. Eben band sie sich blankpolierte, spitz zugefeilte Ochsenrippen unter die Schuhe und fing dabei Columbas neugierigen Blick auf.
»Was schaust du? Möchtest du auch einmal übers Eis gleiten?« fragte die Blonde. Columba nickte begeistert, das gutmütige Gesicht des Mädchen nahm ihr jede Scheu.
»Na, dann komm, zier dich nicht, ich werde dir meine Schienen leihen.« Mit flinken Fingern löste sie die eben geschnürten Lederbändchen, riß sich die Knochen vom Fuß und winkte damit. Columba sprang die Stufen hinab und setzte sich neben sie.
»Tringin«, maulte ein junger Bursche in der groben Kutte des Färbergesellen, »du hast mir einen Lauf zur Schiffsmühle versprochen, was ist, hast du nur geprahlt? Wenn du dich nicht traust bis in die Mitte des Stroms zu laufen, ich lege gern meinen Arm um dich. Obwohl«, er warf einen Blick auf Tringins Hüfte, als wolle er Maß nehmen, »mein Arm dazu ein wenig kurz ist.« Beistimmendes Gelächter von den Umstehenden. Tringin gab ihm einen Klaps auf die Schulter.
»Meine Freundin hier möchte es einmal probieren, vielleicht hast du einen Arm für sie übrig.«
Columba knüpfte eifrig die Lederbändchen über ihrem Spann und schüttelte ungestüm den Kopf. »Ich möchte es schon alleine wagen, so schwer kann es wohl nicht sein.«
Tringin wog den Kopf und krauste spielerisch ihre Nase. »Das hat schon so mancher Esel gesagt. Du wirst dich wundern, diese Ochsenrippen da sind ganz besonders schnell. Luthger, der gebrannte Kopf, ein Knochensammler von der Alten Mauer am Bach, hat sie geschnitzt. Der versteht sich darauf wie kein zweiter, das kannst du mir glauben.« Sie packte Columba unter dem Arm und half ihr, sich aufzurichten.
»Von der Alten Mauer am Bach?« fragte Columba mit einem Anflug von Mißtrauen. Keine gute Gegend, von der Tringin da sprach. Sakramentierer, Wiedertäufer und andere Sektierer sollten da hausen, ganz Köln munkelte es.
»Gewiß«, antwortete das Mädchen Tringin arglos, »der Luthger ist ein braver Kerl, alle Welt weiß das.«
Na denn, die Tringin sah nicht aus wie eine Ketzerin, so frei und unbekümmert wie sie lachte.
Vorsichtig geleitete das Mädchen die Kaufmannstochter die Böschung hinab. Columba streckte den rechten Fuß vor und setzte ihn aufs Eis, zog den Linken nach und stand unsicher, ihre Knie zitterten.
»Traust du dich wirklich?« fragte Tringin betont zweifelnd.
»Und ob«, gab Columba zurück.
»Na denn.« Tringin versetzte ihr einen herzhaften Stoß, und Columba schoß vorwärts. Sie beugte, der Stoßrichtung gehorchend, den Oberkörper nach vorn, ruderte wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, und kam langsam wieder in die Höhe. Der Umhang behinderte sie, sie schlug ihn hastig hoch. Noch immer glitten die Schienen mit ihr übers Eis, was nun? Unwillkürlich löste sich ein kleiner panischer Schrei von ihren Lippen.
»Warte«, hörte sie Tringin hinter sich, »ich komme gleich. He, Mathys, leih mir deine Schienen.«
Columba löste den rechten Fuß von der spiegelnden Fläche, schwankte bedenklich, hörte hinter
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