Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
ausgeharrt. Die Hand Julianas, der Frau, die Euch so herzlich zugetan ist, wäre eben der gerechte Lohn für Eure Geduld. Die Geduld eines Engels.«
Juliana stöhnte auf. Der Junker mißverstand es. »Genug davon. Ich sehe, es ist an der Zeit zu handeln, mannhaft zu handeln.«
Mit diesen Worten eilte er davon, stolperte kurz über einen Eimer, gab dem Hindernis einen wütenden Tritt und verschwand durch die Hintertür. Mit langen Schritten erreichte er die Vorhalle, gerade noch rechtzeitig genug, um der Zeremonie einer gewaltrichterlichen Verhaftung beizuwohnen.
Mit lauter Stimme verlas ein Gerichtsdienerbote die schriftliche Anklage. Sie lautete auf Beherbergung und Begünstigung einer mutmaßlichen Hexe mit dem Namen Anna. Zwei Büttel traten vor. Rechts und links hakten sie den Kaufherrn van Geldern unter. Stumm verfolgten seine Angestellten und herbeigelaufenes Gesinde, wie ihr Herr abgeführt wurde.
Van Gelderns Gesicht hatte eine ungesunde, gelbliche Farbe, die den kundigen Mägden seines Haushalts verriet, daß ihn die Steine ärger plagten denn je. Die Stille hielt an, bis man ihn durch das Tor geführt hatte. Kopf über Kopf hing das Gesinde in den Fenstern und Türen, um auch noch seine letzten Schritte zu verfolgen. Als er verschwunden war, zerriß ein Schrei das Schweigen.
»Das ist sein Tod! Das Haus ist verflucht!« Alle wandten den Kopf und sahen Mertgin. Sie stand am oberen Ende der Treppe, ganz in Schwarz gekleidet – ein dürrer, krächzender Totenvogel.
14
D er Doktor ging, als Rebecca kam. Er war froh, diesen garstigen Ort verlassen zu können. So aufrichtig seine Menschenliebe war, sie hatte Grenzen. Doch als er erfuhr, daß der Greve selbst ihn dazu bestimmt hatte, Rebecca zu beherbergen, lud er sie noch einmal herzlich ein, sein Gast zu sein. Rebecca dankte lächelnd. »Ich werde es mir überlegen und Euch Nachricht geben.«
»Ich bitte Euch«, sagte der Arzt entsetzt, »zögert nicht. Unmöglich könnt Ihr die Nacht an einem so zugigen, stinkenden Ort verbringen.«
Rebeccas Lächeln vertiefte sich. »Glaubt mir, werter Birckmann, die letzten Nächte verbrachte ich an einem Ort, der hundertmal ungesünder war als dieser Platz, der nachts besternt und gut gelüftet ist.«
Betreten schwieg Birckmann und machte sich auf den Rückweg in die Stadt.
Rasch hatte Rebecca einen Trank bereitet, der würzig und leicht bitter roch, Tringin war ihr bei der Zubereitung geschickt zur Hand gegangen, während die beiden Männer vor dem Bretterverhau warteten.
»Sag, Don Seraph, ist es nicht an der Zeit, daß du in deine Herberge zurückkehrst, deine Männer könnten unruhig werden«, meinte Lazarus, als sie im Gras hockten und sich einen Krug Grutbier teilten, das einige Bettelweiber heimlich in einem Bogenstück unter der Mauer brauten.
Don Seraph wischte sich den Bart. »Keine Bange, Lazarus. Ich sah sie heute, als ich das Pferd holte. Sie sind wohlauf und munter. Sie haben Weiber bei sich, beinerne Würfel und ein weit besseres Bier als dieses hier.«
Lazarus lachte kurz auf. »Nun erzähle mir von deinem Leben, Don Seraph oder besser Melchior van Geldern. Ich denke, es ist Zeit, einige unserer Geheimnisse zu offenbaren.«
Der Feldhauptmann schwieg eine Weile, als suche er die Stationen seines Lebens noch einmal auf, dann begann er mit seinem Bericht.
Die Passage nach Peru war ihm schlecht ausgegangen – oder gut, wie man es eben nahm. Zwei Drittel der Mannschaft waren schon auf dem Hinweg an der Ruhr verreckt. Der Rest hatte sich an Land mit unwilligen Verwaltern und aufständischen Indianern herumgeschlagen. Am Ende war man mit weniger Silber, als die Ausrüstung des Schiffes gekostet hatte, nach Portugal zurückgekehrt. Wieder an Land, blieb dem unglücklichen Melchior nur der Dienst bei den Söldnern, doch erkannte er rasch, daß eben da seine Talente lagen.
Lazarus nickte an diesem Punkt, er kannte Don Seraph als ausgezeichneten Heerführer. »Mein Temperament ist vom Mars bestimmt. Ich bin ein unruhiger, kämpferischer Geist. Unternehmungslust ist mein Schicksal und mein Verdienst. Vielleicht bin ich darin meinem Vater ähnlich, wenn ich auch nicht die Kälte seines Herzens erbte.«
Lazarus schwieg versonnen. Er erwog nur kurz, dem guten Freund von dem Verrat van Gelderns an seinem Vater zu erzählen, doch er beschloß, über diesen Punkt für immer zu schweigen. Er wollte die Toten endlich ruhen lassen. Deshalb sagte er nur: »In all den Punkten, die du eben erwähntest, gleichst
Weitere Kostenlose Bücher