Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Wasser, das dreimal unter einem Mühlrad durchgelaufen war. Columba betrachtete die Verrichtungen ihrer Magd mit stummem Groll. Auf einer Truhe unter dem Fenster lagen Dutzende fein gestrickte seidene Strümpfe, die die Beine weit schlanker erscheinen ließen als die üblichen Beinkleider aus steifem Taft. Perlenbesetzte Haarnetze aus feinen Gold- und Silberfäden lagen da, zart wie Spinnennetze, in denen Tautropfen schimmern. Daneben stapelten sich Nachthemden, Leibtücher, Taschentücher, goldbestickte Mieder, eine pfirsichfarbene Nachtjacke, mit grober Spitze überzogen und orangefarbenem Sarsenett gefüttert, ein loser Umhang aus zartem Batist mit silbernen Streifen, Hauben aus apfelgrüner Seide und was es mehr an verschwenderischen Luxusgütern für eine Braut gibt, deren Bräutigam keine Ausgaben scheut.
Columba betrachtete das prachtvolle Sammelsurium mit Abscheu. »Wie ein Turnierpferd will er mich aufzäumen«, sagte sie ablehnend.
All der Tand tröstete sie nicht darüber hinweg, daß sie seit drei Wochen eine Gefangene im eigenen Vaterhaus war und nur zur Messe, den Mahlzeiten und – was besonders widerlich war – um dem Freiherrn im Morgensaal schön zu tun, ihre Kammer verlassen durfte. Stets in Mertgins Begleitung und meist argwöhnisch beobachtet von van Gelderns dürrem Spion. Sie vermißte ihre heimlichen Ausflüge in die Straßen, auf die Märkte, an den Rhein, in den Garten, wo zart die ersten Krokusse aus der Erde hervorbrachen und die Weiden Knospen ansetzten. Sie vermißte den frühjährlichen Jubel der Vogelstimmen, ja sogar den Gestank der Gassen vermißte sie. Heute abend sollte das feierliche Verlobungsfest im Haus stattfinden und der Ehevertrag unterzeichnet werden.
Columba trat ärgerlich gegen die Truhe und schaute sehnsüchtig einer Amsel nach, die aufgeschreckt vom äußeren Fensterbrett aufstob. Ihr Blick fiel in den Hof. Wieder rumpelte ein schwerbeladener Karren mit Fässern herein. Seit Tagen schon empfing van Geldern Weinlieferungen. Zu gerne hätte Columba auch etwas über die neuen Geschäfte des Vaters erfahren. Alles war spannender als diese elende Brautgefangenschaft.
Lazarus trat aus dem Kontor, unter dem Arm trug er Aktenrollen. Beim Anblick des vollbeladenen Karrens stutzte er kurz und wandte seine Schritte zu dem Fuhrwerk. Knechte liefen mit Brettern, Seilen und Schubkarren herbei, um die Fracht zu entladen. Gedankenversunken stand Lazarus davor, als plötzlich der Dürre von hinten an ihn herantrat. Ein eifriger Wortwechsel war die Folge, Lazarus’ Gesicht verfinsterte sich in bitterem Zorn, dann verließ er zögernd, wie widerwillig den Hof. Ob er noch an Tringin und Luthger dachte? Wie gerne hätte Columba mit ihm gesprochen.
»Ihr seid undankbar«, schalt Mertgin plötzlich, »all die schönen Dinge, und Ihr kennt keinen Dank.« Fritjofs Großzügigkeit hatte sie längst zu einem milderen Urteil über den Verlobten ihres Schützlings gezwungen. Ihr selbst hatte der spendable Junker einen Unterrock aus knisterndem schwarzen Bombasin verehrt und, Gott sei gelobt, einen Rosenkranz. Wie jede alte Jungfer maß sie einer Hochzeit größte Bedeutung zu und durchlebte alle Wonneschauer einer verzückten Braut am eigenen Leib – im Gegensatz zu Columba, der Fritjof inzwischen gänzlich zuwider war.
Zum Beweis dafür, daß sein Täubchen gezähmt war, erwartete er ständiges Tändeln und Küssen, sobald Mertgins strenge Augen einmal abgelenkt waren. Columba hatte keine ruhige Minute mehr. Dieser ekelhafte, feiste Mann, wenn sie ihn nur vergessen könnte. Wenn sie nur nicht wüßte, daß es Küsse gab, die so süß waren, daß man dabei kleine Tode starb.
Lazarus war in den Hof zurückgekehrt, mit eiligen Schritten lief er übers Pflaster, blickte sich um und verschwand im Weinkeller. Was hatte er darin zu schaffen? Übte er Betrug an ihrem Vater? War er doch nur ein geldgieriger Schwindler? Columba preßte ihr Gesicht fest gegen das Fensterglas.
»Was tut Ihr da? Kommt weg vom Fenster, was schert Euch das Treiben im Hof!« rief Mertgin ungehalten. »Erst heute morgen brachte der Freiherr ein neues, köstliches Geschenk, Ihr habt es nicht einmal angesehen. Dort auf dem Tisch, vor dem Spiegel, steht es. Setzt Euch nur schon davor, das Bleichmittel für Eure Haut ist gleich fertig.«
Murrend und schlurfend begab sich Columba zu dem Frisiertisch, der erst vor wenigen Tagen aufgestellt worden war, als man begonnen hatte, sie verschiedenen Verschönerungsprozeduren zu
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