Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
sondern hielt es mit Johann Weyer, dem Leibarzt des Herzogs von Cleve, der schon 1562 urteilte, daß Dämonenschau eine Form der Geistesverwirrung sei. Birckmann riet Rebecca vom Fasten ab, »da ein leerer Bauch die schrecklichsten und schönsten Illusionen zeugen kann.«
Rebecca erkannte, daß er sie für so verwirrt wie ihre verstorbene Schwester hielt. Wenn es das nur wäre!
»Es ist an der Zeit für einen Exorzismus. Ich will die Schutz- und Schildgebete hören.« Rebecca wandte sich entschlossen an die Schaffnerin. Sie zögerte einen Moment. »Rufe Galisius, den kurfürstlichen Inquisitor und Exorzisten. Er soll prüfen, wie viele Dämonen von mir Besitz ergriffen haben, und ob es noch Rettung gibt.«
Anna betrachtete ihre bleiche, abgemagerte Meisterin im Bußgewand alarmiert. Es war noch nicht an der Zeit, Rebecca in die Obhut des Dominikaners zu geben. Ihr Ruf war noch unbefleckt. Kein Kölner Bürger von Einfluß und Ansehen hatte bislang Anzeige erstattet, und der Rat liebte keine direkte Einmischung eines kurfürstlichen Beamten. Schon aus politischen Gründen würde er schnell ein erzbischöfliches Verfahren gegen Rebecca ablehnen.
Eine Überprüfung der Phänomene auf Wunsch einer Besessenen war außerdem eine unsichere Angelegenheit. Und selbst wenn sie gegen die Meisterin ausging, selbst wenn der Rat einer Verhaftung und Hinrichtung zustimmte, wäre das Vermögen Rebeccas für jeden weltlichen Nutznießer verloren. Die Kirche würde es ganz einstreichen, da ein Ankläger, der das Recht auf die Hälfte des Besitzes hatte, fehlte. Sie mußte die freiwillige Prüfung verhindern.
»Dämonen?« rief sie deshalb mit gespieltem Entsetzen. »Wie kannst du deine wundersamen Gottesvisionen dem Leibhaftigen zuschreiben? Täglich drängen sich unten die Menschen, um etwas zu erhaschen, das du berührt hast. Sie betteln um ein Fetzchen von deinen Röcken, um eine deiner Spindeln, Nadeln, selbst Brotkrümel, die du übrigläßt, halten sie für wundertätig und heilsam. Zugleich verehren sie dir die köstlichsten Geschenke. Sie verehren dich.«
Rebecca stöhnte. »Sie irren sich, sie irren sich grausam, arme verführte Menschen. Aber du, Anna, du hast oft von Teufeln zu mir gesprochen, wenigstens du mußt mir doch beistehen, wenn ich weiß, daß Satan in mich gefahren ist!«
»Der Diakon ist ein scharfsichtiger, unbestechlicher Mann, gewiß hätte er die Zeichen des Bösen erkannt«, antwortete sie ausweichend.
Rebecca schloß die Augen. »Wenn du nur wüßtest, wie die Teufel mich in der Nacht geschüttelt haben, am ganzen Leib spürte ich ihre reißenden Klauen, meine Brust ist davon blutig zerkratzt. Ich litt ein Fieber, das heiß wie das Fegefeuer war, auch glaubte ich, durch den Raum zu schweben, du weißt, was das heißen kann. Gott schickt keine Flugträume.«
»Und der Ring an deinem Finger der Rechten? Satan kann ein solches Wunder nicht wirken. Du bist eine Erwählte, dein Verlobter ist Jesus Christus, der Gekreuzigte. Es wäre Sünde, sich dagegen zu sträuben.«
»Dieser Ring, wie du es nennst, ist nur eine Verfärbung der Haut«, sagte Rebecca tonlos.
»Warum läßt sie sich dann nicht fortwaschen?«
»Schweig, du überzeugst mich nicht. Rufe Galisius.«
»Und der Diakon? Was soll ich ihm sagen?«
Die Magistra antwortete nicht, ihre Lippen bewegten sich in stummem Gebet. Leise schloß Anna die Tür. Dann stieg sie nachdenklich die Stiegen hinab. Wenn nur van Geldern sich bewegen ließe. Aber, so berichtete der Dürre, der Kaufherr schien nicht interessiert, das Geld Katharinas gab ihm Freiheit genug, um seine Geschäfte zu verfolgen.
In der Vorhalle wartete der Diakon ungeduldig. »Was ist, kann ich hinauf?« fragte er hastig.
Die Schaffnerin schüttelte den Kopf. »Sie will Euch nicht sehen, sie verlangt nach Galisius, dem Inquisitor.«
Der Diakon wurde bleich und kämpfte gegen ein Zittern an. »Sie ist nicht bei Sinnen, ausgerechnet diesen Dominikaner, dem die freien Frauenkonvente verhaßt sind. Wie schnell könnte selbst eine Heilige wie Rebecca in Verdacht geraten! Die Dominikaner wissen nichts von Gottesminne und Paradiesvisionen, trockene Prediger und widerwärtige Gewissensschnüffler sind das. Sie kennen nicht die wahre Seligkeit, sie fühlen nicht ...« Er brach ab. Die allgemeine Furcht vor den Dominikanern, im Volk auch domini canes – Spürhunde des Herrn – genannt, hatte ihn zu seinen unbedachten Äußerungen hingerissen. Erst im letzten Moment zügelte er sich, denn
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