Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Anna betrachtete ihn aufmerksam, so als notiere sie im Geist seine Worte.
»Laß mich zu ihr!« verlangte der Diakon barsch.
Annas Gesicht veränderte sich. Ganz freundlich, gefährlich freundlich schaute sie ihn an. »Ich sehe, wie besorgt Ihr seid. Keine Angst, ich werde den Dominkaner nicht holen, ich werde Rebecca sagen, er sei in Bonn am Hof des Kurfürsten und unabkömmlich.«
»Aber was nutzt das?« fragte der Diakon verzweifelt. »Sie wird wieder nach ihm verlangen. Du weißt, von welch entschlossener Art sie ist. Sie wird von Dämonen sprechen, sich der größten Frevel anklagen, ich kenne ihre Beichten. Sie ist in ihrer frommen Verzweiflung imstande, sich dem Tod in die Arme zu werfen.« Und ihn dazu. Die Hunde des Herrn würden sich in die Geschichte verbeißen, wenn Rebecca dem Frauenhasser Galisius so farbig wie ihm von ihrer Gottesschau berichten würde. Was, wenn sie Galisius den Teppich enthüllte? Was, wenn sie von seinem eigenen Eifer in der Sache berichten würde? Ein Verdacht auf Ketzerei war wie ein Strudel, der mit immer gewaltigerem Sog am Ende alles hinabriß.
Anna schlug die Augen nieder und tat, als kämpfe sie gegen einen großen Kummer an. Dann senkte sie vertraulich die Stimme, blickte sich um, als fürchte sie Lauscher. »Verehrter Diakon, ich will ehrlich zu Euch sein, denn auch ich liebe unsere Magistra und fürchte um sie. Warum kommt Ihr nicht des Nachts wieder, um die Erscheinungen zu prüfen? Ihr könntet Rebecca heimlich beobachten und dann am Morgen davon überzeugen, daß es nicht der Teufel ist, der sein Spiel mit ihr treibt.«
Der Diakon zögerte. Anna sah ihn flehend an. »Ich weiß, daß sie Euch braucht. Manchmal ruft sie voller Verzweiflung Euren Namen, oh, wenn Ihr es nur hören könntet!«
Ein weniger verliebter Narr hätte die Kupplerin in Anna spätestens jetzt erkannt, doch der Diakon war ein längst Erblindeter. »Nun gut, ich werde es mir überlegen«, sagte er. »Halte bis dahin Galisius vom Konvent fern.«
»Ihr könnt Euch ganz auf mich verlassen.«
Er wandte sich zur Tür, blieb stehen. »Eins noch«, sagte er und zog ein gefaltetes Briefchen aus der Seitentasche seiner Soutane. »Gebt das hier Rebecca. Es sind Gebete, Trostworte, die ich für sie in der Bibel fand.«
Anna knickste und nahm das Briefchen an sich. Kaum war der Kirchenmann im Hof verschwunden, entfaltete sie mit gierigen Fingern das Papier.
»Du, der Du ein Engel des Herrn bist, mich dürstet nach der süßen Milch Deiner Weisheit. An Deinen geistlichen Brüsten will ich die Lehre saugen. Himmlisch ist meine Liebe, groß und stark ...«
»Was stehst du da müßig herum und liest?« unterbrach eine Stimme sie mißtrauisch. Die Kornmeisterin.
»Ich prüfe eine Abrechnung«, antwortete Anna abweisend und ließ den Brief in ihrer Rocktasche verschwinden.
»Eine Abrechnung, soso! Sie scheint dich mächtig zu entzücken, was mich wundert. Ist es eine Abrechnung, die dir ein dürrer Mann in Schwarz überbrachte?«
»Ich weiß nicht, von wem du jetzt redest«, erwiderte Anna hoheitsvoll. »Ich jedenfalls habe jetzt zu tun.« Die Kornmeisterin vertrat ihr mit ihrem mächtigen Leib den Weg.
»Seit unsere Magistra krank ist, laufen unsere Geschäfte schlecht. Du rennst nur durch die Gassen und schwatzt von Wundern, lockst die Krüppel und Kranken an. Die fromme Bewunderung einer Begine kann leicht ins Gegenteil umschlagen, du weißt das. Es ist an der Zeit, daß du deine Sorgfalt wieder auf unsere Finanzen verwendest, anstatt herumzustreunen und gefährliche Märchen zu erzählen.«
»An die Finanzen mußt gerade du mich nicht erinnern. Geh in die Küche und tu, was deine Pflicht ist, ohne dich der Sünde der Völlerei zu ergeben.«
Die Kornmeisterin schürzte wütend die Lippen. »Glaube bloß nicht«, sagte sie nun endlich mit drohendem Unterton, »daß dein sündhaftes Treiben der Welt verborgen bleibt, Schaffnerin Anna. Hier im Konvent gibt es genug wachsame Augen. Augen, die dich in der Waschküche sahen. An der Seite des dürren Mannes. Und eins ist klar, deinen Pflichten als fromme Frau bist du dort nicht nachgegangen. Sollte ich je herausfinden, was du gegen Rebecca im Schilde führst, dann hüte dich vor meiner Rache.« Sie stieß Anna grob beiseite und steuerte auf die Küche zu.
Haßerfüllt blickte die Pfennigmeisterin ihr nach, dann stahl sich ein höhnisches Lächeln auf ihre Lippen. »Vortrefflich«, murmelte sie, »einfach vortrefflich, wie voll von gefühlvollen Narren
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