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Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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oder andere Vorlesung besuchen), und nach verschiedenen Mißgeschicken im Dunkeln gelang es ihnen, eine Essenz herauszufiltern: vielleicht eine Tasse voll hundertprozentigen Alkohol. Aber der schlechte Geschmack des Originals war durch das Brennen nur noch intensiver geworden – nun schmeckte das Konzentrat wie die Inkarnation aller Scheußlichkeiten. Was sollte man also damit anfangen? Sie trugen es zurück zum Heuschober-Saal, aber in der Halle vor Wills Büro spritzten sie drei Tropfen wie Blut auf den Boden. (Im College herrschte übrigens eine so informelle Atmosphäre, daß sämtliche Lehrer und anderes Personal bis hinauf zum Präsidenten sich mit Vornamen anreden ließen.) Bruder Paul hatte sämtliche Erinnerung an den letzten Zustand jener destillierten alten Großmutterbrühe verloren, aber er erinnerte sich deutlich daran, als er am folgenden Morgen die Halle durchquerte – und plötzlich die gute alte Grandma roch. Sein Magen drehte sich um. Die ganze Stelle dort war von dem Duft durchdrungen, und natürlich wollte niemand den Grund dafür preisgeben. Der arme Will, denn es lag direkt vor seiner Tür.
    „Ich glaube aber nicht, daß du das nun verstanden hast“, sagte Bruder Paul. „Rückblickend finde ich das alles nämlich gar nicht mehr komisch. Nur ein unwichtiger Vorfall …“ Aber Carolyn unterdrückte ein mädchenhaftes Gekicher. Nun, vielleicht hatte er sich damals in einem ähnlichen Zustand befunden. Eine stinkende Halle …
    Oh, der Heuschober-Saal? Nun, das gesamte College war vierzehn Jahre vor Pauls Eintritt umgewandelt worden – ja, er war sogar älter als das College selber –, und zwar aus einer alten Farm, und das Hauptgebäude war die spitzgieblige Scheune gewesen. Nun sah man die roh behauenen Balken hoch über dem Amphitheater. Das Heu war verschwunden, doch im oberen Teil nistete noch der eine oder andere Vogel. Das Büro des College-Präsidenten lag in einem Silo. Will hatte kein Silo. Was uns zu jener ersten Begegnung zurückführt. Vielleicht hat die Ausbildung in einer Scheune zur Folge, daß einem der Kopf mit Stroh gefüllt wird, das einem im Hirn herumtanzt und wildert wie die vielen Hunde auf dem Campus. Aber nun sind wir wieder da, wo wir eigentlich hin wollten. In Wills Nische gab es kaum Platz zum Umdrehen, doch immerhin hatte die Kammer ein Fenster, An heißen Tagen wirkte sich das segensreich aus.
    „Dos Passos, USA“, hatte Will gesagt. Bruder Paul lächelte in Erinnerung an etwas anderes. Er hatte gedacht, dies sei ein Ort. Wie Winesburg, Ohio, oder God’s Little Acre.
    Das Problem war, daß jeder Lehrer seinen Kurs so beschrieb, als wisse der Student bereits, um was es sich handelte. Paul hatte keine Ahnung, ob er Dos Passos, USA, besuchen oder lieber unter der Anleitung eines anderen potentiellen Lehrers über das Individuum und die Gesellschaft nachdenken oder vielleicht Laienspiel oder Malerei oder Musik oder irgend etwas anderes betreiben wollte. Alles war sehr verwirrend.
    Am Ende war jedoch Wills Kursus einer von denen, die Paul belegte. Nach einiger Zeit lernte er, daß Dos Passos, USA, ein monströser Ort war, drei Bände dick und so groß wie das Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts und die Erfahrung einer mühseligen Reise durch seine Labyrinthe und bruchstückhaften Umgehungen wohl wert. Es war irgendwie wie das Leben selber.
    Paul lernte noch viel mehr und erfuhr mehr, als in den Vorlesungen angelegt war oder den jeweiligen Philosophien seiner Lehrer entspringen konnte. Der Campus des College war wie Winesburg oder Dos Passos selber, mit täuschenden Interaktionen, die die offeneren verdrängten. Die Gerüchteküche hielt alle interessierten Teile auf dem laufenden: Studenten wie Fakultätsmitglieder über deren Beziehungen untereinander.
    Einige Interaktionen waren lächerlich, andere ernsthaft und andere bemitleidenswert. In diesem Schmelztiegel der intellektuellen und sexuellen Persönlichkeiten gediehen einige sehr gut, andere wurden zerstört. Ein wenig Freiheit konnte schon sehr zerstörerisch wirken! Paul selber hatte es überstanden – hauptsächlich aus Glück, fand er zurückblickend – und war mehr oder minder intakt geblieben. Aber er hatte eine gewisse Toleranz gelernt und war weniger geneigt, eine Person nach irgendeinem einzelnen Aspekt seiner oder ihrer Persönlichkeit wie körperliche Defekte oder Lesbiertum oder Schizophrenie zu beurteilen. Während dieser ganzheitlichen Erfahrung bei der Ausbildung wurde viel, was aus Paul

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