Die Visionen von Tarot
gebrochen. Deak wurde aus der Hauptversammlung ausgestoßen. (Niemand machte den Vorschlag, daß dem Collegepräsidenten Ähnliches widerfahren sollte – es schien doch Grenzen zu geben.)
Es gab einen Aufschrei. Deak hatte Feinde im Exek, aber er besaß auch Freunde. Das Meinungspendel der Mehrheit schlug eindeutig zu seinen Gunsten aus, wenn auch vielleicht nur aus einem Gefühl der Fairneß heraus. Daher manövrierte das Exek geschickt herum, um zu verhindern, daß dieser Punkt auf die Tagesordnung kam. Mit einigem Glück würde Deak schon verschwunden sein, ehe die Versammlung offiziell die Angelegenheit diskutieren konnte. Fait accompli.
Wie es sich so ergab, war Paul zu dem Zeitpunkt Sekretär der Hauptversammlung, und sein Freund Dick aus den guten alten Großmutterschnapstagen war Vorsitzender. Sie berieten sich – schließlich waren sie, wie auch ihre Freundinnen, Zimmergenossen: eine einzigartig enge Konstellation – und entdeckten, daß die erste Tagesordnung nur beratenden Charakter hatte. Man konnte sie außer acht lassen und nach einfacher Mehrheitsentscheidung alles diskutieren. Daher versah man die Ankündigung der Versammlung mit der alten Tagesordnung, um die Opposition nicht aufzuschrecken, und machte Pläne, die man herumgehen ließ.
Das Treffen wurde einberufen. Man begann mit den Formalitäten dergestalt, daß der erste Diskussionspunkt das Hundegesetz wurde. Jemand stellte einen Antrag: Das Gesetz sollte abgeschafft werden. Diskussion? Drei Leute ergriffen in Verteidigung des Gesetzes das Wort, niemand sprach dagegen. Mit erstaunlicher Schnelligkeit gelangte die Angelegenheit zur Abstimmung – und das Gesetz wurde mit massiver, bislang schweigender Mehrheit abgeschafft. Deak war wieder auf dem Campus zugelassen, denn er konnte nun nicht mehr wegen Übertretung eines Gesetzes ausgeschlossen werden. Zu spät merkten die Anti-Deak-Kräfte im Exek, daß man sie an der Nase herumgeführt hatte. Man hatte sie ausgebootet und durch die gleichen Taktiken besiegt, die sie selber anwenden wollten. Paul schrieb für das Protokoll der Versammlung eine genaue Schilderung der gesamten Geschichte, wobei er kaum den Stolz auf seine eigene Teilnahme verhehlte.
Später im Leben merkte Bruder Paul rasch, daß derartige Abstimmungspolitik nicht nur auf der Gemeindeebene, sondern auch in globaleren Zusammenhängen die Tagesordnung bildete. Es vermittelte ihm bestimmte Einsichten und Erkenntnisse über die am Werk befindlichen Kräfte beim McCarthysmus und dem Komitee für unamerikanische Umtriebe, selbst eine der am wenigsten amerikanischen Institutionen. Macht drängte nach Korruption, sowohl im Makrokosmos als auch im Mikrokosmos, und zuweilen bedurfte es verzweifelter Maßnahmen, um den entschieden falschen Kurs jener zu korrigieren, die vermeintlich die Mehrheit repräsentierten. Es war ein Phänomen, das Paul niemals richtig begriff, daß sich die Guten wie die Bösen verhielten, aber immerhin lernte er es erkennen. Das College hatte ihn wirklich gut auf das Leben vorbereitet.
Wie wirkungsträchtig seine Ausbildung auch immer gewesen war, die finanzielle Basis des Instituts war recht klein, und daher beschloß die Verwaltung, es zu erweitern. Man meinte, mehr Studenten würden sich einschreiben, wenn die Normen strikter eingehalten würden. Gewisse Fakultätsmitglieder glaubten, die sexuelle Moral werde unter den Studenten zu locker gehandhabt. (Bestimmte Studenten hatten hinsichtlich des Lehrkörpers das gleiche Gefühl, aber das stand auf einem anderen Blatt.) Daher verhängte die Verwaltung für die Versammlungsräume feste Öffnungszeiten und Regeln: Keine Frauen in den Gruppenräumen der Männer und keine Männer bei den Frauen nach zehn Uhr abends.
Aber das stieß auf Widerstand. Die Studenten betrachteten die Gruppenräume als Eigentum der Studentengemeinschaft und benutzten sie, wann immer sie wollten. (Tagsüber wäre eine Sperrstunde kaum problematisch geworden.) Darüber hinaus standen die Gruppenräume unter der Oberhoheit der Hauptversammlung, und dort stellten die Fakultätsmitglieder nur eine Minderheit und konnten einseitig genausowenig Kontrolle darauf ausüben, wie das Exek einen Studenten mit Hund allein hinauswerfen konnte. Daher war die neue Sperrstunde ohne legale Grundlage und wurde dementsprechend auch nicht befolgt.
Bis ein Nachtwächter Paul zusammen mit fünf anderen Studenten um zwanzig vor elf Uhr abends in einem Frauengruppenraum sitzen und reden sah. Nun hatte sich Paul
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