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Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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stimmen.“
    Nüchtern nickte der Mann. Viele Studenten hatten an dem Programm Interesse gezeigt: „Die Zukunft der Offenbarung“, aber es war unsicher, wieviel davon übrigblieb, wenn es wirklich soweit war. In Pauls Tagen hatte man einige exzellente Kurse aufgeben müssen, weil einfach keine Studenten kamen.
    Sie beendeten ihre Mahlzeit und gingen hinauf in den Heuschober-Saal. Sie kamen an der Stelle von Wills altem Büro vorbei, aber das gab es nicht mehr. Zweifelsohne bewohnte Will heute mehr als nur eine kleine Nische, wenn nicht sogar ein Silo. Paul atmete tief ein – und immer noch spürte er einen schwachen Hauch des Gestanks von dem scheußlichen Löwenzahnschnaps. Nach zwanzig Jahren? Unmöglich …
    Die Scheune war noch genauso, wie er sich an sie erinnerte. Carolyn war begeistert, rannte über die Bühne und versuchte, sich wie eine Schauspielerin aufzuführen. Hier hatte Paul Kulissen gemalt, hier hatte er gegen das Lampenfieber angekämpft. Öffentlich zu reden war ihm zunächst nicht leicht gefallen. Seine Nachdenklichkeit und seine leise Stimme waren ernsthafte Hinderungsgründe gewesen. Schließlich war in einem Seminar der Leiter der Laienspielgruppe zu ihm durchgedrungen. „Sag es noch einmal, genau so, aber zwei Komma drei mal so laut.“ Paul hatte gehorcht – und es klappte. Niemals wieder hatte er Lampenfieber bekommen. Normalerweise sprach er immer noch leise, aber er kannte nun die Technik der Projektion und setzte sie bewußt ein, wenn es nötig war. Mit diesem Mechanismus bewaffnet, merkte er, daß das Lampenfieber selbst verschwand. Nun konnte er frei vor jedem Publikum reden, und er kam gut an. Zuweilen hatte er sogar auf dem Podium besser gewirkt als im tatsächlichen Leben; in privaten Unterhaltungen konnte er zuweilen unbeholfen sein.
    „Wir werden nicht diesen Saal benutzen“, sagte David White. „Wir gehen hinaus auf die Wiese. Da ist es weitaus angenehmer.“ Im übertragenen Sinne: Wir werden nicht genügend Teilnehmer bekommen, um den Saal zu füllen.
    Bei Beginn der Abenddämmerung setzten sie sich auf den leicht abfallenden Hügel hinter dem Heuschober-Saal. Carolyn lief davon, um für sich die anderen Teile des Campus zu entdecken. Paul vergewisserte sich, daß sie hier in Sicherheit war – niemand würde sie hier behelligen, und sie wußte, wo sie ihn zu finden hatte. Ein Großteil der Erziehung von Kindern bestand darin, ihnen mehr Zügel zu geben. Sie mußten ihre Grenzen in der ihnen eigenen Weise entdecken.
    Die Teilnehmer stellten sich vor, doch die Namen wanderten bei Paul zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Namen und Daten waren noch nie seine Stärke gewesen. Seit er kein Mnem mehr nahm! Während mehr und mehr Leute herbeiströmten, unterhielt man sich. Als ungefähr dreißig zusammengekommen waren, erschien der Hauptredner, legte sich auf die flache Wiese am Fuße des Hügels, verteilte seine Notizen und hielt eine weitschweifige Vorlesung über seine Erfahrungen im politischen Mahlstrom der Erde vor dem großen Exodus. Diese gesamte Exodusepoche umfaßte genau zehn Jahren, genau jene zwischen Pauls Fortgehen und seiner Rückkehr ins College, doch sie schien bereits so fern wie das Mittelalter. Die Menschen nannten sie die ‚Närrische’ Epoche, und es war in der Tat wahnsinnig gewesen. Die gesamte Kultur der Erde war auf eine Weise erschüttert worden, wie man es heute kaum für glaublich hielt. Aber der Exodus war nicht aus dem Nichts entstanden. Ehe die Materieübertragung das scheinbar Erleichterung schaffende Ventil bildete, hatte die Erde kurz vor der Selbstvernichtung gestanden. Der Redner legte dies deutlich dar. Er benutzte einen deftigen Dialekt, um seiner Meinung die nötige Würze zu geben. Es war ein interessanter Vortrag, aber keineswegs das, was dem Programm entsprach.
    Paul hatte überlegt, was er hier, im College der Zukunft wohl finden würde. Als er es verlassen hatte, befand es sich in der Phase des Niedergangs; sein eigener Ausschluß war nur ein Symptom für die allgemeinere Misere gewesen. Im Interesse von Wachstum und Anerkennung hatte man die persönliche Freiheit beschnitten und genau die Qualitäten geopfert, die das College zu dem gemacht hatten, was es war. Nun hatte es die erwünschte Größe erreicht. Bedeutete dies, daß es unvermeidlich auch konventioneller geworden war? Es war zu früh, dies zu behaupten, aber die anfänglichen Zeichen deuteten darauf hin, daß dem nicht so war. Wenn dieser Redner typisch

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